Regieren im Atomkrieg

Regieren im Atomkrieg

Geschichtsverein – Sindlinger besuchen ehemals geheimen Bunker

Rotierendes Rotlicht zuckt, lautes Motorengeräusch mit akustischen Warnsignalen lässt die Besucher aufhorchen; mit dumpfem Getöse schiebt sich eine meterhohe, 25 Tonnen schwere Betontüre quer durch die Tunnelröhre und riegelt sie hermetisch gegen die Außenwelt ab. Hydraulischer Druck presst die Tür gegen das Gummipolster und verhindert so jegliches Einströmen von frischer Luft.
Mit offenen Mündern bestaunten die Sindlinger Besucher das Schauspiel. Sie hatten die fast dreistündige Anfahrt zum ehemals geheimen Regierungsbunker bei Bad Neuenahr-Ahrweiler in Kauf genommen, um auf Einladung des Sindlinger Geschichtsvereins näher zu ergründen, wie die Bundesrepublik in einem Krisen- oder gar Kriegsfall weiterregiert worden wäre. Jetzt wurden sie gefühlt Teil dieser Planung.

Büros und Betten für 3000 Mitarbeiter des Bundes

Dazu gehörte das oben geschilderte Szenario. In einem Kriegsfall wären circa 3000 Mitarbeiter des Bundes (übrigens ohne Familienangehörige), der Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Präsident des Verfassungsgerichts, Abgeordnete und Mitarbeiter der Regierung in die 897 Büro- und 936 Schlafräume eingezogen, um von hier aus für 30 Tage eine Notverwaltung des Bundes sicherzustellen.
110 Meter unter dem Gebirgsfels ist zwischen 1960 und 1972 eine über 17 Kilometer lange, unterirdische „Beton-Stadt“ mit eigener Infrakstruktur entstanden. Sie besaß eine Trinkwasserversorgung aus zwei eigenen Tiefbrunnen, eigene Stromerzeuger, Luftfilter für die Frischluftversorgung und Vorräte sowie Küchen, Lazarett, Zahnarzt, der zur Not den Bohrer auch per Fußbrett hätte bedienen können, Friseur, Feuerwehr, Fernsehstudio für Ansprachen und so weiter. Damit sollte im Verteidigungsfall sichergestellt werden, dass die Bundesrepublik Deutschland auch in einem Atomkrieg weiterhin regiert und die Bundeswehr geführt werden konnte.
Nach dem Passieren der schweren Tore hätten die Mitarbeiter zunächst eine Entgiftungsanlage passieren müssen. Badezusätze aus Ameisen-, Zitronen- und etwas Salzsäure sollten die radioaktiv verseuchte Haut reinigen. Kleine Elektroflitzer oder Zweiräder, für die sogar eigene Fahrradabstellhallen gebaut worden waren, sorgten für die Mobilität der Bunkerbewohner. Übernachtet hätten sie in Etagenbetten. Nur für Bundespräsident und Kanzler war jeweils ein eigenes, gerade einmal zehn Quadratmeter großes Zimmer reserviert. Für Stromausfälle bunkerte die Regierung 10 000 Kerzen.

30 Tage Schotten dicht: Übung für den Ernstfall

Im Regierungsbunker wurden alle zwei Jahre Übungen abgehalten, bei denen das Personal manchmal bis zu 30 Tage im hermetischen Betrieb arbeitete. Es simulierte beispielsweise den Vorgang der Gesetzgebung mit einem Notparlament von 22 Mitgliedern, und auch ein übungsweise vorhandener Bundeskanzler (Bundeskanzler-Üb) sowie ein Bundespräsident fehlten nicht. Erstmals genutzt wurde der Bunker im Oktober 1966 bei einer Nato-Stabsrahmenübung und zum letzten Mal bei der Übung Wintex/Cimex im März 1989.
Zwar können die Besucher heute nur noch etwa 200 Meter der Anlage besichtigen, aber die Sindlinger bekamen durch die Führer einen informativen Eindruck in die geheime Planung der Regierung. Am Ende waren sich alle einig, dass man froh war, dass es nicht zum Ernstfall gekommen ist. Jedenfalls bot das Gesehene genug Gesprächsstoff für das gemeinsame Abendessen im Gelbachtal.df