Der helle Wahnsinn

Der helle Wahnsinn

FRAUENCHOR GERMANIA Verjüngungskur 40 Jahre nach der Gründung

53 Pokale stehen im Schrank des Pickel‘schen Hauses. Große, kleine, silberne und gläserne Erinnerungen an Sängerwettbewerbe, die der Frauenchor Germania meistens als Sieger verließ. Den jüngsten, einen gläsernen Notenschlüssel, erhielten die Sindlinger Sängerinnen vergangenes Jahr in Bad Soden-Salmünster. „Das war sehr aufregend“, erinnert sich Waltraud Pickel, 72 Jahre alt, zweite Schriftführerin. Die Germania-Damen standen draußen, während Mitbewerber Marbach sang. „Die waren sehr stark“, erinnert sich das Gründungsmitglied an große Nervosität in den eigenen Reihen.

„Habt keine Angst, ich bin bei Euch, es kann Euch nichts passieren“, munterte sie Chorleiter Michael H. Kuhn auf. Ob es daran lag oder an der großen Erfahrung des seit 40 Jahren bestehenden Chors: Die Frauen gewannen den Wettstreit und fügten ihrer Sammlung Pokal Nummer 53 hinzu.

Am Samstag, 10. Juni, wird es keine Pokale geben. Dann singen die Frauen aus Spaß an der Freude und um sich selbst zu feiern. Unterstützt werden sie dabei von Mundart-Rezitator Mario Gesiarz und Jürgen Kronenburg, der die musikalische Unterhaltung beisteuert. Der SPD-Stadtverordnete Sieghard Pawlik moderiertr. Natürlich gibt es Gesang, Reden und Ehrungen. Zwischendurch erinnern die Damen mit Bildern an Höhepunkte aus 40 Jahren Chorgeschichte.

Waltraud Pickel, nach der Gründung 1977 zwölf Jahre lang Vorsitzende und bis heute im Vorstand aktiv, fallen auf Anhieb etliche Dinge ein. Erfolg bei Sängerwettbewerben, wunderbare Reisen, lustige und auch ungewöhnliche Begebenheiten zählen dazu. „Wir waren im Fernsehen, haben bei der Quizshow „Ihr Einsatz, bitte“ mit Dieter Thomas Heck 5500 D-Mark gewonnen und sind davon an den Gardasee gefahren. Beim FDP-Parteiteitag auf dem Hoherodskopf haben wir gesungen, ebenso beim früheren Bundesminister und FDP-Vorsitzenden Wolfgang Mischnick zu dessen 75. Geburtstag“, erzählt sie. „Wir hatten eine schöne Zeit“, bilanziert sie im Rückblick.

1977, fünf Jahre nach der 100-Jahrfeier des Männerchors Germania, strebte dessen Vorsitzender Willi Sieß die Gründung eines Frauenchors an. 36 Frauen fanden sich zusammen, viele davon Ehefrauen von Germania-Sängern. Die Ehefrau des Männerchorleiters Hans Schlaud, Brigitte Schlaud, brachte ihnen das Singen sehr erfolgreich bei, wie die vielen Pokale beweisen. Weitere Sängerinnen schlossen sich an. In den besten Zeiten zählte der Chor 82 Mitglieder.

Chor und Leiterin verbinden viele schöne Erlebnisse. Aber „am Ende hat es nicht mehr gepasst. Unsere Vorstellungen von Vereinsarbeit und Auftritten haben nicht mehr überein gestimmt“, berichtet Waltraud Pickel von schwierigen Jahren. Die Zahl der Sängerinnen sank auf 45.

2013 trennten sich Chor und Leiterin. 2014 fing Michael H. Kuhn in Sindlingen an. „Wir hatten einen guten Ruf. Als er gehört hat, dass wir einen Chorleiter suchen, sagte er sofort: Für einen guten Chor ist immer Platz. Seither ist es der helle Wahnsinn. Er ist ein unheimlich toller Typ, macht alles mit und fühlt sich mit uns so wohl wie wir mit ihm“, schwärmt Waltraud Pickel.

Seither geht es steil aufwärts. „Fast wöchentlich kommen neue Sängerinnen dazu“, staunt sie. Mittlerweile zählt der Chor 78 Mitglieder, als neulich 65 von ihnen in die Singstunde mittwochs ab 20 Uhr kamen, wurde es eng im Saal des katholischen Pfarrheims St. Dionysius. Dennoch wird Kuhn nicht müde, um weitere Stimmen zu werben.

Sie kommen in eine Gruppe, die sich wie eine große Familie anfühlt. „Wir haben einen enormen Zusammenhalt“, sagt Waltraud Pickel. Das gilt über alle Altersgrenzen hinweg. Die ältesten Aktiven sind 81 Jahre alt, manche davon singen mit ihren Töchtern und Enkelinnen. Gerade sind mehrere Teenager hinzu gestoßen. Der Altersdurchschnitt ist von knapp 60 auf 50 Jahre gesunken. Einige Sängerinnen kommen von weit her zur Singstunde, aus Friedrichsdorf, Dreieich, Niedernhausen und sogar Bad Kreuznach. Einen Vorgeschmack auf das, was eine so große Gruppe stimmlich leisten kann, erhielten die Sindlinger jüngst bei „Musik uff de Gass“. Nächste Gelegenheit, den Chor zu hören und den Frauen zu gratulieren, ist am Samstag, 10. Juni, ab 20 Uhr im Bikuz in Höchst, Gebeschussstraße. Karten gibt es im Vorverkauf zu zehn Euro bei Samen-Schlereth und Schuhmacherei Nikolaus Moos, Restkarten an der Abendkasse. hn

53 Pokale lagern im Schrank von Waltraud Pickel, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Frauenchors Germania. Foto: Michael Sittig

53 Pokale lagern im Schrank von Waltraud Pickel, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Frauenchors Germania. Foto: Michael Sittig