Einatmen im Zehn-Sekunden-Takt

Einatmen im Zehn-Sekunden-Takt

Infraserv Mit dem Geruchsmesser auf Tour durch Sindlingen

„Und jetzt?“ – „Hier riecht‘s nicht“, sagt Mohamed Amhamdi. Bei einer echten Messung würde er nun die entsprechende Eingabe in seiner Geruchs-App machen.

Der Geruchstester steht mit einem guten Dutzend Interessierter an der Ecke Pfingstbornstraße/Lachgraben. Es weht ein frischer Nordwestwind. Von den üblen Gerüchen, die den Anwohnern der werksnahen Straßen (und manchmal auch weiter entfernt gelegener Gebiete) so häufig zusetzen, ist heute nichts zu riechen. Alle zehn Sekunden piepst Amhamdis Handy. Er atmet bewusst ein und notiert: kein Geruch. Ist das zehn Minuten lang alle zehn Sekunden so, gilt die ganze Stunde als unbelastet.

Erkennt er jedoch einen Geruch, gibt er das ein und ordnet ihn nach Möglichkeit zu. Manchmal riecht es nach Hausbrand, manchmal nach Chemie, Müllabfuhr oder Fahrzeugabgasen. „An der Bahnstraße riecht man es immer, wenn Busse vorbeifahren oder an der Haltestelle stehen“, sagt er.

Aber Hauptgrund für die Geruchsmessungen, die die Firma Olfasense jeden Tag zu verschiedensten Zeiten im Auftrag des Industrieparkbetreibers Infraserv von Testern wie Amhamdi vornehmen lässt, sind die Gerüche aus den Entsorgungsanlagen des Werks. Abwasserreinigung, Klärschlammverbrennung und Fermentationsanlagen liegen direkt hinter der westlichen Werksmauer, keine 300 Meter Luftlinie von den Wohnhäusern entfernt. Sie lassen Anwohner regelmäßig zum Telefon greifen, um sich zu beschweren. „Bei Ostwind fällt die Party aus“, formulierte es Anwohner Claus Lünzer einmal treffend. Wehen die sachte Sommerbrise oder das stabile winterliche Hoch von Ost nach West, stinkt es in Sindlingen.

2007 führte Infraserv daher die Geruchsmessungen ein, die seit einigen Jahren auch in Kelsterbach erfolgen. Anfang Mai lud der Industrieparkbetreiber interessierte Bürger dazu ein, einen der ingesamt 25 bis 30 Geruchsmesser bei der Arbeit zu begleiten.

Geruchstyp Klärschlamm

Zuvor gab es einen Vortrag im Werk, direkt zwischen den Kläranlagen. „Hier riecht es“, stellten die Sindlinger, Kelsterbacher und Krifteler sowie Mitglieder des Gesprächskreises der Nachbarn des Industrieparks fest, die sich zu dem Termin angemeldet hatten. Ganz klar: Geruchstyp Bioanlagen und Klärschlamm.

Immerhin driftete der Geruch an diesem Tag nicht in Richtung Sindlingen. Guido Schmitt, Leiter der Abteilung Umweltschutz und Immissionsschutzbeauftragter, betonte, dass sich Infraserv alle Mühe gebe, die Belästigungen zu verringern. Fünf Millionen Euro seien seit 2007 in Verbesserungen investiert worden. Vor allem die Änderung der Abluftführung im vergangenen Jahr habe sich positiv bemerkbar gemacht. Das sei auch daran zu erkennen, dass sich die Zahl der Beschwerden häuft, sowie die Anlage für Wartungsarbeiten abgeschaltet werden muss.

Bettina Mannebeck, Geschäftsführerin der Olfasense GmbH, erläuterte Messmethoden und rechtliche Grundlagen. Das Bundesimmissionsschutzgesetz solle Menschen vor „erheblichen Belästigungen“ zu schützen. Es greife, wenn eine Belastung zehn Prozent der Jahresstunden übersteige. „Das heißt, dass es jeden Tag zweieinhalb Stunden stinken darf“, warf ein Zuhörer ein.

Die Geruchsmesser folgen einem ausgeklügelten Plan mit Messpunkten innerhalb eines Rasters. Messinstrument ist die eigene Nase, die bislang von keinem Automaten ersetzt werden kann. Die Tester gehen vor wie beschrieben. Riecht es und notieren sie das innerhalb der zehn Minuten mehr als sechs Mal, wird die ganze Stunde als „Geruchsstunde“ gewertet. Die Geruchsstunden wiederum werden in Relation gesetzt zu den Jahresstunden und gemittelt. Die Werte lägen weit unterhalb der kritischen Zehn-Prozent-Marke.

Auch wenn es weniger geworden ist – störend bleibt der Gestank dennoch. „Wir bemühen uns darum, das in den Griff zu kriegen“, versicherte Michael Müller, Kommunikationsleiter von Infraserv. „Ganz wird es aber nie gelingen“, bedauerte Guido Schmitt. Er versicherte, dass stets allen Beschwerden nachgegangen werde.

Thomas Schlimme vom Gesprächskreis regte an, das Thema beim nächsten Treffen am Donnerstag, 23. November, 18 Uhr, in den Räumen der evangelischen freikirchlichen Gemeinde Höchst, Bolongarostraße 110, noch einmal zu behandeln. Informationen zu den Messungen stehen unter www.ihr-nachbar.de hn

Am Messpunkt im Lachgraben demonstrierte Mohamed Amhamdi Bürgern, wie eine Geruchsmessung vor sich geht. Foto: Heide Noll

Am Messpunkt im Lachgraben demonstrierte Mohamed Amhamdi Bürgern, wie eine Geruchsmessung vor sich geht. Foto: Heide Noll