Heimat- und Geschichtsverein – Ein Leben für die Fliegerei
Heimat- und Geschichtsverein
Ein Leben für die Fliegerei
Karl Caspar war tollkühner Flieger und genialer Konstrukteur
„Wer kann sich noch an Karl Caspar erinnern?“ – Sechs Besucher melden sich. Der Heimat- und Geschichtsverein hatte zu einem Bildervortrag über den Flupionier Karl Christian Maximilian Caspar eingeladen, der ab 1924 in Sindlingen lebte. Knapp 40 Zuhörer versammelten sich dazu im evangelischen Gemeindehaus.
Archivar Karlheinz Tratt hatte die Bilder und Fakten zusammengetragen. Zunächst gab er einen Überblick über die Anfänge der Fliegerei. Von den ersten Versuchen und vielen Bruchlandungen berichtete er, von waghalsigen Konstruktionen aus Holz und Segeltuch, namhaften Konstrukteuren und Flugpionieren wie August Euler, Ernst Heinkel und Otto Lilienthal. Karl Caspar aus Kassel gehört ebenfalls dazu. Das fünfte Kind eines Gerichtssekretärs studierte in Marburg Jura und verbrachte seine Militärzeit in Deutsch-Südwest, dem heutigen Namibia. Masken, Pfeile, Bogen und Erinnerungsfotos brachte er von dort mit, die er später ins Treppenhaus seiner Villa an der Allesinastraße, Ecke Feierabendweg hängte – und die die Sindlinger Kinder schwer beeindruckten. Karlheinz Tratt und sein Cousin Hans-Günther Schmied etwa, deren Großeltern Caspars Nachbarn waren, bestaunten die Mitbringsel damals ehrfurchtsvoll.
Caspar erwarb im März 1911 seinen Flugschein. Damit zählt er zu den „Alten Adlern“, das sind etwa 800 Frauen und Männer, die vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Prüfung zum Flugzeugführer bestanden. Die Fliegerei und die Entwicklung immer neuer Flugzeuge und Verbesserungen wurden zu seinem Lebensinhalt. In Hamburg gründete er die Hanseatischen Flugzeugwerke Karl Caspar AG, 1914 die Hanseatische Flugschule. Kapitän Friedrich Christiansen war einer seiner ersten Schüler. Der spätere Kommandant des Riesenflugzeugs Dornier DO-X wurde sein Freund und sorgte 1932 für einen Menschenauflauf, als er mit dem weltgrößten Wasserflugzeug in der Griesheimer Oberschleuse auf dem Main landete, um Caspar in Sindlingen zu besuchen. Direkt vor dessen Haustür war der Main nicht breit genug.
Im Ersten Weltkrieg war Caspar der Erste, der mit einer Flugmaschine Kleinbomben über England abwarf. „Es waren etwa bleistiftdünne Stahlstifte, die gebündelt abgeworfen wurden, keine Sprengbomben“, erläuterte Tratt. Er berichtete weiter aus dem Leben des Flugpioniers, von seinen Werken, den schwierigen Jahren nach dem Krieg, vom versuchten Langstreckenflug nach Ostasien und seinen vielen Entwicklungen und Neuerungen im Flugzeugbau, darunter eine geschlossene Flugzeugkanzel und eine höhenverstellbare Heckflosse.
Weniger bekannt ist sein Privatleben. Seine erste Frau verstarb anscheinend früh. Auch die Gründe, warum er 1924 nach Sindlingen zog und sich eine Villa am Main bauen ließ, sind nicht bekannt. Hier jedenfalls lebte er mit Margarethe von Wangelin. „Sie verscheuchte uns Buben immer, wenn wir abends beim Rodeln am Mainberg zu laut waren“, erinnert sich Karlheinz Tratt. „Wir durften aber auch manchmal in seine Bibliothek“, ergänzte Hans-Günther Schmied: „Dort habe ich immer die Witzbücher von Adamson gelesen und dabei laut gelacht“. Das gefiel dem Hausherren, der ihm 1950 zu Weihnachten zwei gewidmete Exemplare schenkte. Hans-Günther Schmied besitzt sie noch heute. „Er lebte zurückgezogen. Aber wenn wir Buben ihn auf der Straße gegrüßt haben, gab er uns immer einen blitzblanken, neuen Pfennig“, berichtete Tratt, der sich zudem an Caspars Krückstock mit silbernerm Knauf in Form eines Hundekopfs erinnert.
Ebenfalls verbürgt ist Caspars Vorliebe für Bootsfahrten auf dem Main. Er leistete sich das kleine Motorboot „Singa“, das Tratts Großvater Ferdinand Hescher für ihn in Schuss hielt. Trotz körperlicher Gebrechen, wie etwa einer silbernen Schädelplatte, die ihm nach einem Absturt eingesetzt worden war, blieb Caspar unternehmungslustig. Er liebte es, sonntags mit dem Boot nach Mainz zu fahren und dort zu Mittag zu essen. Einmal fuhr er sogar mit zwei Begleitern mit der Singa“ bis nach Hamburg.
Am 2. Juni 1954 starb er einsam und fast vergessen und wurde in Sindlingen beigesetzt. Später holten die „alten Adler“ seine sterblichen Reste nach Hamburg. hn

Blick auf den Main: Karl Caspar auf der Terrasse seines Hauses in der Allesinastraße, Ecke Feierabendweg.