Leserbrief: Baugebiete in Sindlingen – wer vergibt hier welche Chancen?

Leserbrief

Baugebiete in Sindlingen – wer vergibt hier welche Chancen ?

Es wirkt manchmal schon etwas befremdlich, wenn man in regelmäßigen Abständen über die lokale Presse die Zukunftsvisionen unserer Politiker lesen darf, wie sie sich unser Glück in unserem Stadtteil vorstellen. Vieles ist sicherlich im Sinne des Sindlinger Bürgers und wir können uns glücklich schätzen, dass Unzulänglichkeiten durch unsere gewählten Volksvertreter im Ehrenamt vorangetrieben und in vielen Fällen auch zum Abschluss gebracht werden. Respekt an dieser Stelle für die Beharrlichkeit und den zeitlichen Aufwand, der in der Regel in der Freizeit geleistet wird.
Es beschleicht jedoch nicht nur uns ein ungutes Gefühl, wenn von den Spitzen der beiden großen Parteien städtebaulich schwadroniert wird. Da wird mit einer Selbstverständlichkeit über die Entwicklung neuer Baugebiete diskutiert, deren (Un-) Sinnhaftigkeit sich allerhöchstens den inneren Zirkeln der Fraktionen erschließen mag. Den neutralen Beobachter solch abstruser Diskussionen beschleicht das ungute Gefühl, dass die „Machermentalität“, der tief verwurzelte Wunsch, an den großen Rädern der Stadtpolitik doch ein wenig mitdrehen zu wollen, unverändert unsere politischen Vertreter antreibt. Dann holt man auch gerne mal so abgenutzte Worthülsen aus der politischen Rhetorikkiste wie beispielsweise die der „verwehrten städtebaulichen Entwicklungsmöglichkeit für den Stadtteil“. Mal ganz ehrlich: Wer hat im Jahr 2014 noch den Wunsch nach städtebaulicher Entwicklung in Form von neuen Baugebieten in Sindlingen und wer freut sich ganz konkret, wenn 1000, 2000 oder gar bis zu 4000 neue Einwohner das Wirtschaftswunder nun endlich auch zu uns bringen ? Klar, dann gibt’s vielleicht noch einen Alde mehr, vielleicht noch einen Lidl direkt daneben, eventuell einen größeren Rewe – und dann bezahlen die neuen Mitbürger ja auch noch Steuern. Na prima, genau darauf haben die Sindlinger gewartet!
Ist es unverschämt und unsozial, wenn wir heute für die wenigen Freiflächen in und um Sindlingen herum eine Nutzung einfordern, die dem Menschen, dem Sindlinger Bewohner tatsächlich die Fortentwicklung der „weichen Standortfaktoren“ erlebbar macht und die die doch wohl allseits unbestrittenen Belastungen in unserem Ballungsgebiet mit Großflughafen, Verkehrsknotenpunkt europäischer Bedeutung und einem oppulenten Industriepark mit fortwährenden Expansionswünschen etwas versucht abzumildern ? Würden wir eine Entwicklungschance vertun, wenn wir das potenzielle Baugebiet Sindlingen-Süd mit Nachdruck zu einer unbebauten Restfläche mit Wiederbelebung der nur noch fragmentarisch vorhandenen alten Streuobstwiesen entwickelten?
Und könnte im Erschließungsgebiet Sindlingen-West nicht für den Erhalt der Freiflächen mit Fortführung der landwirtschaftlichen Nutzung unter Aufwertung des Areals durch Spazierwege und Neugliederung mit Gehölzen, Baumgruppen und Bereichen, wo sich Kinder noch fernab von viel befahrenen Straßen austoben können, gestritten werden ? Warum heißt städtebauliche Entwicklung immer Baugebietsausweisung? Geht man davon aus, dass solche Wohnquartiere frei von negativen Auswirkungen wie Lärm und zusätzlichen Verkehrsbelastungen für den gesamten Stadtteil zu entwickeln sind?
Deshalb meine Bitte an unsere ehrenwerten Volksvertreter: Setzen Sie sich für das ein, was der Sindlinger Bürger möchte und nicht für das, was die Fraktion im stillen Kämmerlein – egal ob im Ortsbeirat oder im Frankfurter Römer – als heilsbringend für das Land ausbaldowert hat. Vertreten Sie bitte Sindlinger Interessen! Machen Sie Ihre Bebauungsabsichten zum zentralen Wahlkampfthema – mit Ortsterminen und klarer Darstellung dessen, wie die in Rede stehenden Flächen zukünftig aussehen werden. Sagen Sie den Sindlingern, was der Landschaftsplan für den Frankfurter Westen aussagt und wie es mit unserer Luftqualität bestellt ist und warum Sie in Kenntnis der Fakten sich für eine weitere Versiegelung der Landschaft einsetzen! Klären sie auf über die Art der Bebauung. Holen Sie sich den Auftrag der Wähler! Wir brauchen qualitätvolle Weiterentwicklung im Sinne der Menschen, die hier mit ihren Kindern leben wollen. Freiflächen gehören heute zu den höchsten Gütern in den stark verstädterten Ballungsräumen unserer Republik. Ziele, die städtebaulich vor Jahrzehnten mal angedacht und für sinnvoll erachtet wurden, verdienen heute eine kritische Hinterfragung. Wenn jedoch ein solcher Denkanstoß wieder einmal vor dem Hintergrund des „immer und immer weiter“ und „wir brauchen doch Wachstum“ ungehört verhallt, bleibt nur die Hoffnung, dass die Einzelfallprüfung nach Seveso II noch lange dem Expansionsdrang unserer Parteioberen und dem (angeblichen) Wohl der Sindlinger entgegensteht!
Fam. A. Schubert, Imkerweg