Ortsgeschichte: Courage kostet Erich Altmann das Leben
Ortsgeschichte
Courage kostet Erich Altmann das Leben
„Stolperstein“ erinnert an einen, der die Nazis nicht mochte
Seit Juli liegt in Sindlingen ein „Stolperstein“. Eingelassen in den Bürgersteig der Küferstraße, erinnert die kleine Metallplatte an Erich Altmann, der im Konzentrationslager Buchenwald umkam. Er bezahlte seine Zivilcourage mit dem Leben.
Altmann war kein Jude. „Es ist ein verbreiteter Irrtum, dass Stolpersteine nur für jüdische Opfer der Nazis verlegt werden“, klärt Waltraud Beck auf. Sie engagiert sich in der AG Geschichte und Erinnerung in Höchst, die Schicksale von Nazi-Opfern recherchiert, Paten für Stolpersteine sucht und deren Verlegung vor den früheren Wohnhäusern der Menschen organisiert.
Auf Erich Altmann wurde die AG von seiner Großnichte aufmerksam gemacht. Helena Lehmann (49 Jahre) kannte den Bruder ihrer Oma Christine nicht. Nie wurde über ihn gesprochen, berichtete sie bei einer kleinen Gedenkstunde in der Küferstraße 3 vor etwa 25 Zuhörern. Nur weniges entlockte sie der Oma: Erich wurde als „Sozialist“ bezeichnet, als schwarzes Schaf der Familie, als einer, der sich nicht anpasste. Der Autoschlosser mochte die Nazis nicht, lehnte es ab, ihre Autos zu reparieren oder verzögerte Arbeiten daran.
1942, im Alter von 28 Jahren, wurde der Sindlinger deswegen verhaftet. Er kam ins Arbeits- und Erziehungslager Preungesheim, ließ sich aber anscheinend nicht beirren. 1944 wurde er denunziert, und so stand bald wieder die SS vor der Tür, um ihn zu verhaften. Erich Altmann versteckte sich in der Küferstraße auf dem Dachboden. Seine Schwester Christine, mit einem Neugeborenen auf dem Arm, verwehrte den Männern den Zutritt. Am 29. Mai 1944 aber bekamen sie Erich doch zu fassen. Er wurde zunächst im berüchtigten Polizeigefängnis Frankfurt eingesperrt und übel zusammengeschlagen. Seine Schwester besuchte ihn dort, erkannte ihn kaum, so entstellt war sein Gesicht. „Er flehte sie an, alles zu tun, um ihn da raus zu holen“, gibt Helena Lehmann wieder, was ihre Oma berichtete. Am 13. Oktober 1944 wurde Erich Altmann ins KZ Sachsenhausen gebracht, am 27. November ins KZ Buchenwald. Dort starb er am 24. Februar 1945 im Alter von 29 Jahren an „Herzinnenwandentzündung bei Lungentuberkulose“. Ob die Haftbedingungen im Lager oder medizinische Versuche die Ursache waren, bleibt offen.
Was genau Erich Altmann dazu getrieben hat, passiven Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft zu leisten, bleibt unbekannt. Nicht einmal Fotos von ihm sind erhalten. Die Familie schämte sich ihres „schwarzen Schafs“, verschwieg seine Geschichte. Gemeinsam haben Helena Lehmann und Waltraud Beck von der AG Geschichte dennoch viele Daten rekonstruieren können. Sie wissen nun, dass Erich Altmann als jüngstes von vier Kindern am 10. August 1916 in Sindlingen in der Küferstraße geboren wurde, wie seine Geschwister (und später auch seine Großnichte) auf die Meisterschule ging, Autoschlosser lernte und in Höchst arbeitete. Er war 1,78 Meter groß, schlank, hatte ein ovales Gesicht, dunkelblonde Haare und lückenlose Zähne.
Nun erinnert ein Stolperstein vor dem Haus, das der Familie noch immer gehört, an sein Schicksal. Die Patenschaft dafür hat die evangelisch-methodistische Rufergemeinde aus Höchst übernommen. „Wir finden es wichtig, dass es nicht vergessen wird. Als Christen stehen wir gegen Ungerechtigkeit“, sagt Sabine Janzen von der Rufergemeinde. Erich Altmann war nicht politisch aktiv. Er habe Widerstand geleistet in seinem ganz normalen Leben, habe versucht, sich zu verweigern und Zivilcourage bewiesen.
Dieter Frank, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins, bekannte zwar, dass bislang wenig bekannt sei über Täter und Opfer 1933 bis 1945 in Sindlingen. Das aber könne sich ändern, appelliert er an die Bürger, über vergessene, verschwiegene Opfer nachzuforschen – so, wie es Helena Lehmann getan hat. hn