Ein Schritt in Richtung Baugebiet
Ein Schritt in Richtung Baugebiet
Entwicklung Vereinbarung von Stadt und Industrie zum Umgang mit der Seveso-Richtlinie eröffnet Spielräume
Der Sportplatz und die Kleingartenanlage bleiben unangetastet. Sie liegen innerhalb eines Radius‘ von 500 Metern um die Grenzen des Industrieparks Höchst. Die Felder westlich der Straße zur Internationalen Schule jedoch können bebaut werden – zumindest aus Sicht der Stadt und des Industrieparks.
Vertreter beider Parteien haben vier Jahre lang verhandelt und nun eine „Vereinbarung von Selbstverpflichtungen über die Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie“ getroffen. Darin regeln sie für Frankfurt den Umgang mit der Vorgabe zum Bauen im Umfeld potenziell gefährlicher Industrieanlagen. Viele der Chemiebetriebe auf dem Areal der ehemaligen Hoechst AG gehören in diese Kategorie. Früher war eine Bannmeile von zwei Kilometern vorgeschrieben, innerhalb derer keine „schutzbedürftigen Einrichtungen“ wie großflächige Wohngebiete, Kitas, Altenheime, Krankenhäuser oder Schulen neu geplant, genehmigt und gebaut werden durften. Dann schrumpfte der so genannte Achtungsabstand auf 1000 Meter. Die dritte Neufassung der Seveso-Richtlinie war weniger klar. Hier fließen auch technische Neuerungen und Einzelfallprüfungen in die Bestimmung des Abstands ein. Folge der Unsicherheit war, dass alle Planungsvorhaben rund um die großen Industrieanlagen seit Jahren auf Eis liegen.
Nun kommt wieder Bewegung in die Sache. Stadt und Industrie vereinbarten eine Bannmeile von 500 Metern, innerhalb derer die Stadt keine neuen Bebauungspläne für schutzbedürftige Nutzungen aufstellen oder genehmigen wird, heißt es in einer Pressemitteilung von Oberbürgermeister Peter Feldmann, Planungsdezernent Mike Josef und Jürgen Vormann, Vorsitzender des Industrieausschusses der IHK Frankfurt und Vorsitzender der Geschäftsführung von Infraserv Höchst, der Betreibergesellschaft des Industrieparks Höchst.
Keine schädlichen Einwirkungen
Außerhalb von 500 Metern und innerhalb des Achtungsabstandes von knapp über 1000 Metern können damit Wohnbaugebiete geplant werden. „Schädliche Umwelteinwirkungen wie Lärm, Luft und Licht sind da nicht mehr zu befürchten“, sagte Harald Noichl, Leiter der Abteilung Genehmigungen beim Industriepark-Betreiber Infraserv, im Gesprächskreis der Nachbarn des Industrieparks Höchst. Sollte die Stadt beispielsweise das Bebauungsplanverfahren für ein Neubaugebiet an der Jahrhunderthalle wieder aufgreifen wollen, das zwischen 500 und 1000 Meter vom Tor Nord entfernt liegt, „gehen wir nicht dagegen vor. In der Entfernung stört es uns nicht so sehr“, erläuterte Noichl und sagt überzeugt: „Unsere Anlagen in Deutschland sind so sicher, dass das Restrisiko verschwindend gering ist.“
Unverzichtbar bleibt aber eine sorgfältige Abwägung der Gefahren, die von Störfallbetrieben ausgehen. In Baugenehmigungen könnten beispielsweise Schutzauflagen, Alarmierungs- und Evakuierungssysteme zwingend vorgeschrieben werden. Die Vereinbarung zwischen Stadt und Industrie hebele den Schutzgedanken der Seveso-Richtlinie nicht aus, sie lasse aber Spielraum. Sowohl Stadt als auch Industrie könnten sich weiter entwickeln. „Wir haben das Potential für bis zu 3000 Wohnungen im Frankfurter Westen“, sagte Feldmann.
Nach den Worten Vormanns kann von der Vereinbarung eine Signalwirkung für andere Chemie- und Industrieparks in Deutschland ausgehen, die in Bezug auf die städtebauliche Entwicklung im unmittelbaren Umfeld vor ähnlichen Herausforderungen stehen.
Wirtschaftsdezernent Markus Frank würdigt die Vereinbarung als Meilenstein städtischer Industriepolitik: „Gerade unsere Industrieparks sind ein wichtiger Wachstumstreiber mit weltweiter Vernetzung mit Zulieferern der Branche und des Maschinen- und Anlagenbaus, aber auch mit internationalen Dienstleistern. Sie brauchen langfristige Planungssicherheit für die dort ansässigen Chemie- und Pharmaunternehmen.“
Wegweisend und Chance für Wohngebiete
„Die Inhalte der Vereinbarung sind sowohl mit dem Regierungspräsidium Darmstadt als Immissionsschutzbehörde als auch mit dem Land Hessen abgestimmt“, berichtet Planungsdezernent Josef. „Die Vereinbarung ist wegweisend und wird sich voraussichtlich auf die Neufassung der hessischen Bauordnung sowie die geplante Technische Anleitung Abstand des Bundes auswirken und könnte als Mustervereinbarung der deutschen chemischen Industrie genutzt werden. Für uns ist es eine große Chance, insbesondere im Frankfurter Westen endlich neue Baugebiete zu entwickeln und auch Griesheim und Fechenheim neue Perspektiven geben zu können. Die Einschränkungen innerhalb des 500-Meter-Kordons nehmen wir gerne hin, denn die chemische Industrie ist ein Motor der Gewerbeentwicklung.“ kus/hn