Franz Kremers Verbrechen: Er mochte Swing

Heimat- und Geschichtsverein

Franz Kremers Verbrechen: Er mochte Swing

Szenische Lesung über einen Sindlinger in den Fängen der Gestapo

„Ich habe um Anständigkeit gekämpft wie ein Löwe“, sagte Franz Kremer zu Lebzeiten des öfteren. Über 90 Minuten herrschte angespannte Stille im evangelischen Gemeindehaus, als Wolfram Kremer ein Interview seines Vaters Franz in einer szenischen Lesung mit Dieter Frank den Zuhörern darbot. Über 30 Interessierte waren der Einladung des Sindlinger Heimat- und Geschichtsvereins gefolgt, um an diesem Abend einen tieferen Einblick in das Schicksal des Sindlinger Bürgers zu erhalten, der 1941 als Jugendlicher in die Fänge der Frankfurter Gestapo geraten war. Warum? Weil er – wie sein älterer Bruder – an der Swing-Musik Gefallen gefunden hatte! Statt der ständigen Marschmusik, die die Hitlerjugend (HJ) immer wieder anstimmte, war Franz Kremer von einer anderen Lebensart angetan, obwohl er zunächst beim Jungvolk, beziehungsweise bei der HJ tätig war. Andere Musik, andere Kleidung (zum Beispiel ein auffälliger Hut, weite Hosen, Sakko), all das gefiel Kremer besser als die Uniformen der organisierten Jugend.
Franz Kremer wurde 1925 geboren und erlernte nach der Schule, obwohl er aufgrund seiner Statur für diese Arbeit eigentlich weniger geeignet war, bei Metzger Müller das Metzgerhandwerk.
Erste Erfahrungen mit den neuen Machthabern machte er am Sindlinger Reitstall, als er und ein paar andere Jungs mit Steinschleudern ein paar Scheiben zerschossen, während die SS-Reiterstaffel in der Halle ihre Runde drehte. Hinter diesem Jungenstreich wurde ein Anschlag vermutet, sodass am nächsten Morgen die Polizei in der Schule auftauchte. Aber die Beamten konnten die Täter nicht ausfindig machen.
Als sein Lehrherr 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde, setzte Kremer seine Lehrzeit in Höchst fort. Dort fand er auch Kontakt zum Bootshaus, dem Treffpunkt der „Tigers“. So nannten sich die Jugendlichen, die im Sommer gemeinsam mit Booten auf dem Main unterwegs waren und dort „Swing-Lieder“ sangen. Im Winter trafen sich viele von ihnen in Oberreifenberg: Gemeinsam hörten sie Jazzplatten und tanzten Swing.
Als sein Bruder zur Wehrmacht musste, löste sich der Bootsclub langsam auf, Franz Kremer zog es dann nach Frankfurt, speziell ins „Café Goetheplatz“, ein idealer Treffpunkt, weil es einen Hinterausgang hatte. „Wenn vorne die Holzköpp in ihren HJ-Uniformen reinkamen, da sind wir halt hinten raus.“
Von der Illegalität des Ganzen machte sich Kremer wohl kein rechtes Bild. Die ersten Gestapo-Maßnahmen gegen die Swing-Jugend in Frankfurt hatte er nicht mitbekommen. Überhaupt konzentrierten sich diese Jugendlichen weitgehend nur auf ihr Interesse, Musik zu hören und dazu zu tanzen! Der Krieg war noch weit weg. Zwar war man gegen die Nazis, man war aber kein Widerstandskämpfer. Kremer wehrte sich nur gegen die angeordnete „Vermassung“.
Ende September 41 wurde er aber dann völlig überraschend verhaftet. „Ich hätte das nicht für möglich gehalten, wegen der Musik verhaftet zu werden“. Unter dem Vorwurf der „Verwahrlosung“ und des „Verbrechens gegen die Kriegswirtschaftsverordnung“ kam Kremer in die Lindenstraße, wo die Gestapo mittlerweile ihre Zentrale hatte. Dort wurde er in einer Einzelzelle eingesperrt, täglich verhört und geschlagen und mit dem Vorwurf konfrontiert, Würste ohne Marken bezogen zu haben. Schließlich kam noch die Behauptung dazu, dass es sich bei den Treffen in Oberreifenberg um verbotene „homosexuelle Ausschweifungen“ gehandelt habe. All das leugnete Kremer tagelang, wochenlang. Und dann eines Tages … wurde er kommentarlos entlassen. Sein Großvater hatte sich das Leben genommen. Diese Nachricht schockierte Franz Kremer derart, dass er kein Wort mehr redete. Daraufhin entließ man ihn, vielleicht auch auf Intervention seines Vaters.
Kremer konnte seine Metzgerlehre in Höchst fortsetzen. Nach dem Krieg entdeckte er aber sein Talent als Opernsänger und konnte so eine neue Karriere starten. Von seinen Erlebnissen in der NS-Zeit erzählte er öfters interessierten Jugendlichen in den Schulen. Leider verstarb Franz Kremer im Jahre 2006, aber sein Sohn Wolfram konnte an diesem Abend die Erinnerung an ihn aufrechterhalten. df