Flugverbot für Brieftauben
Flugverbot für Brieftauben
Hobby Manfred Schreiber gehört zu den letzten Züchtern im Ort
Gurren, trappeln, flattern: Vielfältig sind die Geräusche in Manfred Schreibers Taubenschlag. Der Züchter hält rund 100 Tiere in einem Nebengebäude seines Elternhauses in der Huthmacherstraße. „Ich kenne sie alle“, sagt er. Nicht mit Namen, denn Namen bekommen die Tiere nicht. Doch jede Brieftaube hat ihre Eigenheiten, so dass er genau sagen kann, welche die mit 16 Jahren älteste ist, welche am ausdauerndsten fliegt oder auch, was Männlein und Weiblein ist.
Die Liebe zur Brieftaubenzucht bekam der 73-jährige Sindlinger gewissermaßen in die Wiege gelegt. Sein Großvater Anton Schreiber Senior richtete den Taubenschlag ein. „Der Sindlinger Brieftaubenverein ist 1912 in unserer Küche gegründet worden“, sagt Manfred Schreiber. Sein Vater Anton Schreiber Junior züchtete auch. Lebhaft ist ihm in Erinnerung, wie der Vater fünf, sechs Tauben in einen Korb packte, den er sich auf den Rücken schnallte und mit dem Fahrrad zum Höchster Bahnhof brachte. Dort ging es mit dem Zug zu einem „Auflassungsort“, also der Stelle, an der die Tauben in die Luft gelassen werden. Dank ihres angeborenen Heimkehrwillens fliegen sie stets zum heimischen Schlag zurück.
Zwischenzeitlich sind Sindlingen und Höchst wie auch die einst vielen anderen Ortsvereine in Main- und Hochtaunus sowie den westlichen Frankfurter Stadtteilen in der „Reisevereinigung Untermain Kriftel“ aufgegangen. In Kriftel steht der Spezial-Kabinenexpress, mit dem die Mitglieder bis 2800 Brieftauben auf einmal befördern können. Die Flugsaison beginnt im Frühjahr mit kürzeren Etappen und steigert sich von Woche zu Woche um 50 bis 80 Kilometer Richtung Südwesten, bis die Langstreckenflüge anstehen. Sie starten in Bourges (rund 550 Kilometer Luftlinie) und Chateauroux (circa 660 Kilomter) in Frankreich. Bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 70 Kilometern in der Stunde kommen die Tierchen etwa acht und neun Stunden später wieder zuhause an.
„Das ist das Schönste: die Tauben ankommen zu sehen“, findet Ditmar Schmidt aus Griesheim, Vorsitzender der RV Untermain. Früher war es Glücks- und Erfahrungssache, diesen Moment zu erwischen und zu notieren. Heute hilft Elektronik. Die Tauben tragen Ringe mit Computerchips am Bein. Wenn sie den heimischen Schlag erreichen, lösen sie ein Signal aus. So wird die genaue Ankunftszeit im Computer registriert.
Auch das Einflugloch zu Manfred Schreibers Schlag ist mit solcher Elektronik versehen. Aus seinem Stall sind auch zu Zeiten seiner Vorfahren häufig schnelle Flieger gekommen. Aufwendig gestaltete Urkunden an den Wänden erinnern daran. Die Züchter versuchen stets, Tiere mit guten Flugeigenschaften zusammen zu bringen in der Hoffnung, dass der Nachwuchs die entsprechenden Gene erbt. Nach 18 Tagen Brutzeit schlüpfen die Jungen, 25 später sind sie flügge und beginnen, ihre Umgebung zu erkunden. Ihr Radius wächst und am Ende ihrer ersten Saison starten sie ihren ersten Preisflug als Jungtauben. Großen Anteil am Erfolg hat auch die Ernährung. Manfred Schreiber reicht seinen Brieftauben eiweißreichen Futterbrei, Körnerfutter und als Leckerli Erdnüsse. Wie Sportler müssen die Tiere auch in der wettkampffreien Zeit in Bewegung bleiben. Diesen Winter allerdings bleiben ihnen Flüge verwehrt. Wegen der Geflügelpest lassen die Züchter die Brieftauben in den Schlägen. „Eigentlich müsste das nicht sein, denn sie sind nicht anfällig für das Virus“, sagt Manfred Schreiber.
Sein Taubenschlag ist der letzte private in Sindlingen, dessen Tiere noch an Wettflügen teilnehmen. Jeden Tag sieht Manfred Schreiber nach den Vögeln. Er füttert und tränkt sie, reinigt Böden und Gefächer, das sind die Nistkästen. Seine Tauben sind gepflegt, geimpft und gut genährt. „Es ärgert mich, wenn sie als Ungeziefer oder Ratten der Lüfte bezeichnet werden“, sagt er. Freundlicher ist die Bezeichnung „Rennpferde des kleinen Mannes“. Die schnellsten Flieger einer Vereinigung werden ausgezeichnet, die Ergebnisse in umfangreichen Tabellen vermerkt. Doch das Hobby ist nicht nur zeitaufwendig, sondern auch teuer, weiß Jochen Bonk aus Flörsheim, Vorsitzender des Regionalverbands Hessen. „Mindestens 30 Tauben sind nötig, um jede Woche fliegen zu können. Das können junge Anfänger kaum finanzieren. Rennpferde des kleinen Mannes – das ist nicht mehr.“ hn