Stadtteilbücherei – Immer eine tolle Mischung

Stadtteilbücherei

Immer eine tolle Mischung

Gründung eines Fördervereins steht bevor

Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Ross,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest…

Aus einem reichlich ramponierten Buch las Renate Donges-Kaveh die Ballade „Die Füße im Feuer“ von Conrad Ferdindand Meyer vor. Schwerer Stoff in eleganter Sprache. „Das Buch haben meine Eltern 1944 aus den Trümmern unserer Wohnung in Offenbach ausgegraben“, sagte sie beim dritten Bücher-Essen in der Stadtteilbücherei: „Es ist die Textsammlung „Vom Blütenbaum“ und war einmal ein Schulbuch“.
Ein Moment der Stille folgt der packenden Schilderung großen Unrechts. „Balladen sind oft dramatisch“, löst eine Teilnehmerin die Spannung. Den letzten Rest Beklemmung beseitigte Christoph Wild. Er las kurze Abschnitte aus dem Buch „Harold“ von Einzelkind vor. Die Erlebnisse des arbeitslosen britischen Wurstfachverkäufers mit seinem unfreiwilligen Betreuungskind Melvin sorgten für befreiende Lacher.
„Es ist immer eine tolle Mischung“, findet der Sindlinger Mario Gesiarz. Leichte oder schwere Kost, Neuerscheinungen oder Klassiker, von der Bibel bis zum Sachbuch: Alles geht, wenn sich Lesefreudige gegenseitig Lektüre vorstellen. Mögen sie Bücher auch „zum Fressen gern“ haben, beißen sie natürlich trotzdem nicht hinein. Stattdessen bringt jeder, der möchte, etwas zu Essen oder zu Trinken mit und ein Buch.
Bald standen Obst, Käse, Wein, Brot und Muffins bereit, und die Männer und Frauen machten es sich in der Sitzecke im Untergeschoss der Bücherei gemütlich. Bereits zum dritten Mal traf sich die zwanglose literarische Runde mit Büchereileiterin Vera Dopichaj, die die Initiative gerne begleitet. „Wir haben zwar ein Budget für Bücher, aber keins für Veranstaltungen“, sagt sie. Deshalb sei es gut, dass sich Menschen aus dem Stadtteil für die und in der Bücherei engagieren.
Seien es Schilderungen aus den Niederungen deutscher Klassenzimmer, die lautmalerischen Gedichte von Ernst Jandl oder die berührende Geschichte einer lebensmüden Ehefrau, die in der Bretagne zu sich selbst findet – die Lesefreudigen hörten aufmerksam zu. „Das würde mich auch mal interessieren“, nickte eine Dame in der Runde. „Man bekommt Anregungen und versucht, selbst welche zu geben“, sagt eine andere. Dabei spielt es keine Rolle, ob acht, zehn oder mehr als 20 Lesefreunde zusammen sitzen. Nun freuen sich alle schon aufs nächste Bücher-Essen am Freitag, 7. Juni. Der Folgetermin steht auch schon fest: Freitag, 16. August, jeweils 19 Uhr in der Bücherei.
Dann lädt womöglich nicht mehr eine Initiative von Freunden der Bücherei ein, sondern ein Förderverein. Nach mehreren Vortreffen soll ein solcher am Montag, 18. März, gegründet werden. „Ein Förderverein hat mehr Möglichkeiten als ein Initiativkreis“, sagen Gesiarz und Vera Dopichaj. Er kann kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen organisieren, Autoren buchen, Spenden sammeln und Unterstützungen beantragen. Ein Satzungsentwurf liegt schon vor, ein Name fehlt noch. Sieben Gründungsmitglieder müssen die Gründungsurkunde unterschreiben. Gesiarz ist optimistisch, dass es dazu kommt und auch gleich ein dreiköpfiger Vorstand gewählt wird. Die Gründungsversammlung findet um 19 Uhr in der Stadtteilbücherei (Sindlinger Bahnstraße 124) statt. hn

Beim Bücher-Essen wurden folgende Bücher vorgestellt:

Musstu wissen, weiss du! von Stephan Serin
Füße im Feuer von Conrad Ferdinand Meyer (Ballade)
Die Mondspielerin von Nina George
die morgenfeier aus: Das Öffnen und Schließen des Mundes: Frankfurter Poetik-
Vorlesungen von Ernst Jandl
zertretener mann blues aus: für alle von Ernst Jandl
Harold von einzelkind
Zum Dinner bei den Putins aus: Vom Küssen der Kröten von Hellmuth Karasek
Der liebe Gott macht blau von Arto Paasilinna