Goethes bittersüßer Sommer
Heimat- und Geschichtsverein
Goethes bittersüßer Sommer
Sindlinger auf den Spuren des Dichters in Wetzlar
Bis auf den letzten Platz besetzt, startete der Bus des Sindlinger Heimat- und Geschichtsvereins zu seiner diesjährigen Halbtagsfahrt. Ziel war Wetzlar, die Stadt, in der Goethe seine juristische Ausbildung erhalten hatte.
Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl teilten sich die Mitfahrer in zwei Gruppen auf, die jeweils von kompetenten Stadtführern durch die Altstadt geführt wurden. Neben dem Sitz des ehemaligen Reichskammergerichts bietet Wetzlar seinen Gästen vor allem Erinnerungen an Goethes Zeit in dieser Stadt. Goethe war im Mai 1772 in Wetzlar eingetroffen, wenig begeistert von dem kleinstädtischen Ambiente. Zwar genoss die Stadt, da sie seit 1689/90 Sitz des höchsten Zivilgerichts im Alten Reich geworden war, hohes Ansehen, konnte aber dem Frankfurter Großbürgersohn ansonsten wenig bieten, wäre da nicht seine tiefe, aber aussichtslose Zuneigung zu Charlotte Buff zum Tragen gekommen. Sie entlud sich 1774 in Goethes erstem Roman „Die Leiden des jungen Werther“. Kaum war bekannt geworden, dass durch den dünnen Schleier literarischer Verfremdung die Stadt Wetzlar und die tragischen Geschicke einiger junger Menschen in ihr durchschimmerten, begann der Strom der Reisenden zu den Schauplätzen des „jugendlichen Leids“. Er ist bis heute nicht abgeebbt, auch die Sindlinger ließen sich davon in Bann ziehen.
Überraschend vieles ist aus jener Zeit bis heute in Wetzlar erhalten geblieben, liebevoll gepflegt und soweit als möglich in der Gestalt erhalten, in der Goethe es während jenes bittersüßen Wetzlarer Sommers 1772 erlebte.
So verweilten die Sindlinger auch recht lange vor dem schmalen Fachwerkhaus in der Lottestraße, wo 1753 Charlotte Buff als zweitältestes von 16 Kindern geboren worden war, von denen allerdings nur noch 12 lebten, als Goethe am 9. Juni 1772 erstmals Hof und Haus betrat. Als Goethe sie bei einem Tanzfest kennengelernt hatte, war Charlotte bereits verlobt. Lotte bezauberte ihn sowohl durch ihre äußerliche Erscheinung als auch durch ihre offene Art. Wie im Werther beschrieben, tanzte er den ganzen Abend mit ihr, und es imponierte ihm sehr, wie Lotte die Festgesellschaft während des Gewitters mit einem Spiel ablenkte. Dennoch machte sie ihm deutlich, dass sein Werben keine Aussicht auf Erfolg haben würde.
Neben Goethes Spuren interessierten sich die Gäste vor allem noch für den Wetzlarer Dom. Im 14. Jahrhundert sollte der romanische Kirchenbau durch einen gotischen Nachfolgebau ersetzt und erweitert werden, was üblicherweise durch Errichtung eines neuen Baues um den noch nicht entfernten Vorgängerbau erfolgte. Eine Besonderheit des Wetzlarer Domes ist, dass der Bau in dieser Umbauphase unvollendet blieb und die verschiedenen verschachtelten Bauabschnitte zum Teil erhalten blieben. Obwohl diese Kirche nie Bischofssitz war, hat sich der Name „Dom“ aufgrund seiner monumentalen Bauweise durchgesetzt. Heute dient diese Kirche als Simultankirche, das heißt sie wird sowohl von Katholiken als auch von Protestanten genutzt.
Nach diesen reichhaltigen Informationen und Eindrücken zog es die Teilnehmer – begünstigt durch einen schneidenden Wind – in ein nahe gelegenes Café am Dom, das vom starken Zustrom sichtlich gefordert wurde. Der gesellige Teil des Abends fand im Kronenhof bei Bad Homburg statt. Zum Schluss dankten die Ausflügler Frau Bott, die diese Fahrt in gewohnter Art hervorragend geplant hatte und souverän leitete. Mit großem Interesse blicken die Teilnehmer schon auf das Ziel des nächsten Jahres. DF