Kolumne Lebensfragen: Glaube und Gerechtigkeit

Kolumne Lebensfragen

Glaube und Gerechtigkeit

Lieber Herr Sacher,

ich bin mit fast 30 „Dienstjahren“ der dienstälteste Kirchenvorsteher der evangelischen Gemeinde Sindlingen (seit April 1985). Mancher, der mich und meine Art zu denken und zu handeln kennt, wundert sich manchmal, dass „einer wie ich“ ausgerechnet neben den anderen Ehrenämtern im Kirchenvorstand ist, wo man doch immer in die Kirche gehen müsse und so. Deshalb führe ich mit Gemeindemitgliedern, aber auch in der Freundschaft und Bekanntschaft, immer wieder Gespräche über Kirche und Gott. Besonders über den „lieben und gerechten Gott.“ Und da kommen Betroffenen dann ihre Zweifel an diesem Gott. Wie erkläre ich also einer 35-jährigen Frau mit zwei Kindern und einem unbezahlten Haus, deren Mann an einer tückischen Krankheit gestorben ist, den Glauben an Gott?

Lieber Herr Streubel,

das Beispiel, das Sie nennen, ist natürlich ein besonders schlimmer Fall. Da kann und will ich nicht behaupten, dass der liebe und gerechte Gott dort lieb und gerecht gewirkt hat. Diese Welt ist im Großen (siehe Syrien oder gerade die Ukraine) und auch im Kleinen, Persönlichen (siehe ihren Fall) oft nicht gerecht und lieb.
Aber ich glaube trotzdem an Gott. Ob ich erklären kann, wie das geht? Wahrscheinlich eher nicht. Glauben ist etwas, was man nicht erklären kann. Das ist schade, aber es ist so. Da wäre ich nicht der Erste, der daran scheiterte. Aber – Gott sei Dank – hat er, also Gott, uns etwas anderes gegeben, um Glauben näher zu bringen, nämlich die Erzählung.
Vor einigen Jahren ist die Schwester eines meiner besten Freunde an Krebs gestorben. Kurz danach nahm sein Vater sich das Leben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich tief getroffen war und dachte: Gott, wo bist du? Ich habe ihn, meinen Freund, gesehen und war einfach nur traurig und sauer darüber, dass so etwas möglich ist. Trotzdem bin ich in die Kirche gegangen und habe gebetet. Gerade wegen dieses Schreckens in meiner direkten Nähe wollte ich mit Gott reden. Ich war sauer auf ihn, aber ich habe gespürt, dass er jetzt der richtige Gesprächspartner ist. Nun war ich auch nicht der Betroffene, das ist schon klar. Aber vielleicht zeigt das Beispiel doch etwas.
Ob es Gott gibt und ich an ihn glaube, das hat nichts damit zu tun, wie gerecht diese Welt ist. Und das ist ja auch nicht nur bei mir so. Ich habe noch nie von jemandem gehört, der gläubig war und seinen Glauben in schlimmen Zeiten verloren hat. Im Gegenteil, gerade dann kommen die Menschen besonders zu Gott. Ich glaube, dass jeder von uns den Glauben an Gott in sich hat, dass er bei manchen Menschen einfach nur nicht geweckt worden ist.
Aber die Frage, warum Gott Ihrer Bekannten den Mann genommen hat, die ist damit natürlich nicht beantwortet. Und darauf gibt es auch keine Antwort. Ist Gott trotzdem gerecht und lieb? Ich glaube schon. Beweisen kann ich es nicht. Aber ich sehe es so: Die Gerechtigkeit Gottes zeigt sich anders, als wir es uns erhoffen. Nicht so, dass hier auf dieser Welt, in Frankfurt, in Sindlingen alles gerecht abläuft. Sondern so, dass alle Menschen, dass Sie, die Frau, ich, alle von Gott gleich geliebt werden. Dass wir zu ihm können, wenn uns etwas Schlimmes passiert. Dass er uns alle in seiner Hand hält. Wir können zwar in dieser Welt fallen und auch aus dieser Welt, aber aus Gottes Liebe heraus können wir nicht fallen. Keiner von uns, nie.
Erklären kann ich Glauben nicht. Ich denke, lieber Herr Streubel, dass Sie das einzig Mögliche machen. Indem Sie den Menschen von Ihrem Glauben erzählen, machen Sie, was man machen kann, um Glauben näher zu bringen. Und es ist gut, dass Sie das machen, denn so vielen Menschen hat der Glaube in schlimmen Situationen schon geholfen.

Ihr Konstantin Sacher

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