Aufatmen – Infraserv baut um
Aufatmen – Infraserv baut um
Industriepark Stinkende Abluft soll künftig verbrannt werden
Ein Luftkurort wird Sindlingen sicher nicht werden. Aber im neuen Jahr soll zumindest der Gestank nachlassen, verspricht Industrieparkbetreiber Infraserv. Im Gesprächskreis der Nachbarn des Industrieparks kündigten Jürgen Lau und Harald Werner „Maßnahmen zur Geruchsminderung in Sindlingen“ an.
Der Immissionsschutzbeauftragte und der Leiter der Entsorgungsanlagen im Industriepark erläuterten, warum es überhaupt zu den unangenehmen Gerüchen kommt. Gleich hinter der Werksmauer, nur 150 Meter von den ersten Wohnhäusern entfernt, wird täglich Klärschlamm in die Verbrennungsanlage gebracht, 225 000 Tonnen jährlich. Die Abluft aus der Annahmehalle für den Klärschlamm steigt durch einen 60 Meter hohen Schornstein und verteilt sich bei Windstille oder Ostwind in der Nachbarschaft. Künftig soll diese stinkende Abluft zusammen mit der Abluft aus der so genannten Abwurfhalle verbrannt werden. „Wir erhoffen uns dadurch eine fast vollständige Reduzierung der Geruchsfracht“, sagte Werner, und damit „eine deutliche Verbesserung der Geruchsart Klärschlamm in Sindlingen“.
„Wenn es Beschwerden gibt, gelten sie zu 90 Prozent dem Fäkalgeruch“, sagte CDU-Ortsbeirat Albrecht Fribolin. Er erinnerte daran, dass es früher vordringlich nach „Chemie“ gerochen hat, seit dem Bau der Klärschlammverbrennungsanlage 1994 aber nach Fäkalien. Etwa 100 Beschwerden gingen im Jahr ein, sagte Jürgen Lau. Sie beträfen überwiegend die Kläranlagen- und/oder Kanalgerüche. Er wies darauf hin, dass auch andere Verursacher in Frage kämen, zum Beispiel die Kanalisation oder die städtische Kläranlage. Bei Beschwerden werde ein Messwagen ausgesandt, um die Herkunft des Gestanks zu klären.
Die wenigsten Leute könnten Kanal- und Kläranlagenduft auseinanderhalten, sagte Werner. Dem widersprach Sindlingens evangelischer Pfarrer Ulrich Vorländer: „Wir als Anwohner können das schon zuordnen“.
Unverständlich findet Vorländer die Ergebnisse der Geruchsmessungen, die Infraserv seit 2007 täglich nehmen lässt. Daraus werden prozentuale Werte ermittelt und mit der Geruchsimmissionsrichtlinie für Wohngebiete abgeglichen. Die spricht bei Werten ab zehn Prozent von einer „erheblichen Belästigung“. In Sindlingen seien es in den vergangenen Jahren nur zwei bis fünf Prozent gewesen. Im Sommer 2014 sank der Wert sogar auf Null, jetzt steigt er wieder.
Anwohner finden Prozentzahl irreführend
„Nur zwei Prozent? Das kann ich nicht verstehen. Es stinkt gewaltig und an vielen Tagen im Jahr“, kommentierte Ulrich Vorländer: „Die Prozentzahl ist irreführend“. Anwohner Stephan Brech stimmte ihm zu: „Im ganzen Industriepark riecht es nicht so schlecht wie in Sindlingen“. Nun soll der Umbau der Abluftführung bis Ende März 2016 Abhilfe schaffen. 750 000 Euro wendet Infraserv dafür auf.
Die Geruchsmessungen werden fortgesetzt. Ihre Ergebnisse stehen monatlich auf der Internetseite www.ihr-nachbar.de. Pfarrer Vorländer regte an, künftig auch die Beschwerden der Bürger in der Statistik darzustellen. Infraserv-Geschäftsführer Joachim Kreysing versprach, das aufzunehmen. Der Nachfolger von Roland Mohr stellte sich der Runde kurz vor. Gleiches tat Thomas Maurer, neuer Standortleiter des Kunststoffherstellers Basell Polyolefine. Standortleiter Arno Rockmann erläuterte die neue Gesellschaftsstruktur der Celanese Gruppe Deutschland. Die bis vor kurzem eigenständigen Betriebe Ticona, Nutrinova, Celanese Chemicals und Celanese Emulsions treten nun einheitlich als Celanese auf.
Die neue Membranelektrolyse von Akzo Nobel stellte Hans-Jürgen Henkel vor. Der Hersteller von Chlor, Ätznatron, Salzsäure und weiteren Stoffen versorgt damit viele der im Industriepark ansässigen Betriebe. Mit dem Neubau der Anlage wurde ein neues, überdachtes Salzlager errichtet, so dass seither keine Salzregen mehr in Sindlingen niedergehen. Thomas Hartmannshenn vom Umweltamt der Stadt Frankfurt stellte schließlich noch Naturschutz in der Stadt am Beispiel der Schwanheimer Dünen vor.hn
Hoffentlich erfolgreich
„Bei Ostwind fällt die Fete aus“, zitiert SPD-Ortsbeirat Claus Lünzer einen gängigen Spruch in Sindlingen. „Seit vielen Jahren haben die Sindlinger gegen die Geruchsbelästigung gekämpft. In zahllosen Gesprächen wurde das im Industriepark diskutiert.
Oft wurden die Grillgäste wieder nach Hause geschickt, weil die Fete nicht stattfinden konnte. Die Verbesserungsaktivitäten haben nicht gefruchtet. Umso erfreulicher ist es jetzt zu hören, dass man im neuen Jahr das Übel erneut angehen will. Und das hoffentlich mit Erfolg“, kommentiert er die Ankündigung von Infraserv, durch Umbauten in der Klärschlammverbrennungsanlage die Geruchsbelästigung in der Nachbarschaft zu verringern. Dass im vergangenen Jahr nur 100 Beschwerden dort eingegangen seien, liege daran, dass viele Anwohner des besonders stark betroffenen Lachgrabens resigniert hätten. „Der Standardspruch ‚Wir schicken jemand raus‘, der dann erklärt ‚Ich geb‘s weiter‘ wird jetzt hoffentlich der Vergangenheit angehören“, wünscht sich Lünzer: „Ich hoffe, wir können zuversichtlich sein, dass Infraserv diesmal Erfolg hat.“