Vom Wesen der Stadtteile

Vom Wesen der Stadtteile

Buchstütze Vergnügliche Lesung von Autoren der „Frankfurter Einladung“

Rezepte für Rödelheimer Schneegestöber, Berger Kalbsleber und Eckenheimer Worstkraut finden sich in dem Buch „Frankfurter Einladung“. Doch die Zubereitungsanleitungen sind nur eine Beigabe. Denn die „Einladung“ bezieht sich darauf, die Stadtteile von Hessens größtem Dorf zu entdecken.

39 Autoren haben Geschichten, Beschreibungen, Gedichte aus 43 verschiedenen Stadtteilen von A wie Altstadt bis Z wie Zeilsheim sowie zwei Siedlungen beigesteuert. Vier von ihnen lasen kürzlich auf Einladung des Fördervereins Buchstütze in der Stadtteilbücherei daraus vor.

Dazu gehörte auch Herausgeberin Susanne Konrad. Sie kam durch das Projekt „Stadtteilhistoriker“ der Polytechnischen Gesellschaft Frankfurt auf die Idee. „Ich befasste mich mit Stadtteilidentitäten. Das machte mir viel Freude. So kam ich auf die Idee, das Ganze mit literarischen Kontakten zu vernetzen. Ich suchte und fand Menschen, die einen Bezug zu ihrem Stadtteil haben, und bat sie um einen literarischen Text dazu. Das ist gelungen“, sagte sie.

Viele Facetten und Sichtweisen kommen da zusammen. Beispielsweise die von außen und innen. Die Autoren lasen in genau dieser Reihenfolge – die für Susanne Konrad, die im Dornbusch lebt, genau anders herum richtig wäre: „Sindlingen und Zeilsheim sind für mich eher außen. Alles eine Frage der Perspektive“. Ihre Sicht auf „ihren“ Stadtteil dagegen ist eindeutig: Sie mag ihn. „Dort, wo die Dornenbüsche wachsen“, ist eine Liebeserklärung an die Siedlung nördlich der Innenstadt, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstand und „irgendwo mittendrin“ liegt, zwischen Eschersheim, Eckenheim, Ginnheim, Westend und Nordend. Der Dornbusch war nie ein eigenständiges Dorf, hat keine ländliche Tradition, dafür einen urbanen Werdegang. Susanne Konrad beschreibt seine Entstehung, seine Stärken, Schwächen, Eigenheiten. Halb Großstadt mit viel Verkehr, Lärm, eiligen Menschen und Pizza-Lieferdiensten, halb kleines Paradies mit Dichterviertel, kopfsteingepflasterten Straßen, Sinai-Park und großen Gärten, ist dieser Stadtteil für viele, die ihn täglich auf dem Weg in die Innenstadt passieren, gesichtslos. Für die, die dort wohnen, ist er Heimat.

Eine andere Herangehensweise hat Jörg Engelhardt gewählt. Er schickt die Sinne auf eine Reise durch Schwanheim, „Fern göttlich Geschmäckelche“. Ausgehend vom Stammtisch der „Schoppepetzer“ im Tradtitionslokal „Seppche“ folgen Nase, Gaumen, inneres Auge, Gehör und Verstand den verschiedenen Spuren durch den „kulinarisch interessantesten Straßendurchstich“ zwischen Industrie und Wald. Worscht und Döner, Bier und Kokosmilch, Thai-Küche und türkischer Kaffee: alles da. Flughafen einerseits, tierische Laute aus dem Kobelt-Zoo andererseits, bietet das Leben in Frankfurts – nach Fläche gemessenem – drittgrößtem Stadtteil allen Sinnen etwas, so dass der Schwanheimer Schoppepetzer zufrieden feststellen kann: „Jeder Frankforter iss immer nur en Frankforter, aber en echte Frankforter wie isch is aach noch en echte Schwanemer“ – Und das ist viel besser.

Dem vergnüglichen Rundgang folgte ein Blick ins Innenleben eines jungen Mädchens aus dem Ausland. Die Geschichte „Das Ausländerfest“ von Reha Horn ist in Zeilsheim angesiedelt, doch ohne konkreten lokalen Bezug. Sie könnte überall in der Stadt spielen, wo Migranten in Wohnblocks leben und Kinder mit den Unterschieden zwischen dem traditionellen Leben zuhause und der Gesellschaft hierzulande zurecht kommen müssen.

Eine heitere Note hat wiederum der Beitrag über und aus Sindlingen. „Und vor allem: weit weg von der Stadt!“ hat ihn Autor Mario Gesiarz überschrieben. Der Vorsitzende des Fördervereins Buchstütze und Mundart-Rezitator schildert augenzwinkernd lokale Eigenheiten wie ein gewisses Misstrauen Fremdem gegenüber und eine Neigung zum Nörgeln; geschickt verwebt er Geschichte, beispielsweise die große Bedeutung der Farbwerke für Sindlingen, und Geschichten, wie die Tatsache, dass in fast jedem Haushalt etwas zu finden ist, was ursprünglich zum Bestand der Fabrik gehörte – blaue und grüne Wassertonnen zum Beispiel. „Damit wir uns recht verstehen: Diebstahl war das nicht, das war selbstverständlich“, schreibt Gesiarz. Umgekehrt ließen die Beschäftigten nichts auf ihren Arbeitgeber kommen. Sport, Vereine, Gastronomie, Zusammenleben und vieles mehr bringt Mario Gesiarz Ortsfremden näher und Einheimische dürften zustimmend nicken: Ja, so ist es. Hier, am Rande, weit weg von der Stadt. hn

Das Buch „Frankfurter Einladung – Erzählungen, Geheimnisse und Rezepte“, Herausgeberin Susanne Konrad, ist im Größenwahn-Verlag erschienen und kostet 17,40 Euro. ISBN: 978–3–95771–102–1.

Vier Autoren lasen aus der „Frankfurter Einladung“: (von links) Jörg Engelhardt, Reha Horn, Susanne Konrad und Mario Gesiarz.

Vier Autoren lasen aus der „Frankfurter Einladung“: (von links) Jörg Engelhardt, Reha Horn, Susanne Konrad und Mario Gesiarz.

Das Kapitel über Sindlingen verfasste Mario Gesiarz, Vorsitzender der „Buchstütze“. Fotos: Hans-Joachim Schulz

Das Kapitel über Sindlingen verfasste Mario Gesiarz, Vorsitzender der „Buchstütze“. Fotos: Hans-Joachim Schulz