Ameisenkur für verstopfte Nasen
Auf Wanderschaft
Ameisenkur für verstopfte Nasen
Sindlinger Pilgergruppe folgt der Wied durch den Westerwald
Von Werner von Swietochowski
Brennnesseln größer als ein Mann? Noch nie gesehen. Doch die gibt es. Mit gelb blühenden Ginsterbüschen und meterhohem Gras haben sie den Weg oberhalb der Wied zwischen Datzeroth und Altwied fast unpassierbar gemacht. Dazu kam, dass auf dieser Teilstrecke auch Baumstämme den Pfad stellenweise blockierten. Die Sindlinger Pilgergruppe, die Anfang Mai fünf Tage lang den Wiedweg ging, hat auch diese Herausforderungen gemeistert; genauso wie einige steile An- und Abstiege.
Ingrid und Michael, Annegret und Thomas, Angela, Werner und Doris sind den Wiedweg von der Quelle bis zur Mündung jeweils mit Transfer vom Hotel zu den Start- und Endpunkten in fünf Etappen gegangen und haben insgesamt 115 Kilometer zurückgelegt. Leider war Rike Hoyer, die fast alle Touren bisher mitgemacht hatte, nicht mehr dabei. Sie ist im Januar verstorben. Die Gruppe wird sie als immer gut aufgelegte und kameradschaftliche Begleiterin in guter Erinnerung behalten.
Der Wonnemonat Mai machte seinem Namen alle Ehre. Kein einziger Regentropfen fiel vom Himmel. Da ließen sich die teilweise mit Raureif bedeckten Wiesen und der fast noch winterliche Wind in der Früh gut verkraften. Wieder waren es Erlebnisse der besonderen Art. Man sah beim Gehen, wie der winzige Bach ziemlich schnell zum bald zwanzig und mehr Meter breiten Fluss anwuchs. Neben dem frischen Grün der Bäume und Büsche begleiteten die üppig blühenden Ginstersträucher und von Löwenzahn und Dotterblumen übersäten Wiesen den Weg.
Pilgern und Wandern heißt auch immer wieder die Sinne voll zu öffnen: Der murmelnd fließende Bach und die Oberfläche des von ihm durchflossenen Dreifelder Weihers glitzerten in der wärmenden Sonne und die Blicke glitten in tiefe Täler. Die Vögel zwitscherten und der Wind raschelte im Frühlingslaub. Der Geruch von frischem Holz, einer nahen Schafherde und die Schwaden der Rapsfelder drangen in die Nase. Im Grenzbachtal waren die friedlich grasenden Wisente zu beobachten und zottelige Esel mit braunem Fell auf einer Weide in Berzhausen waren erst an ihren besonders langen Ohren als solche zu erkennen. Auch Angelas Rezept, den beißenden Geruch von Ameisen für die Behandlung der verstopften Nase zu nutzen, konnten wir auf seine Tauglichkeit hin testen: Man legt die flache Hand einige Augenblicke auf einen Ameisenhaufen, zieht sie wieder zurück und schüttelt die darauf krabbelnden Ameisen ab. Man riecht an der Handfläche und merkt, wie der stechende Geruch die Nase ausputzt.
Auf der längsten Etappe von Höchstenbach nach Döttesfeld (29 Kilometer) begegneten wir im Wald einem jungen Mann, der gerade Holz sägte. Er erzählte uns, dass er schon weit in der Welt herumgekommen und der Liebe wegen schließlich im Westerwald gelandet sei. Hier fühle er sich wohl und schätze das Miteinander der Leute im Dorf. Es sei zwar manchmal schon etwas ruhig, aber in die nächste Stadt seien es mit dem Auto nur ein paar Minuten.
Wandern heißt auch immer zu rasten. Neben dem mitgenommenen Brötchen oder Apfel hat jeder Leckereien zum Verteilen dabei: von Kaffee-Bonbons und Nüssen, die uns Annegret anbot, bis zu Salz-Käse-Keks von Ingrid und einem kleinen delikaten Schweizer Törtchen, das Angela am Dreifelder Weiher verteilte. Mit dem Einkehren zwischendurch ist es so eine Sache. Die Lokale sind dünn gesät. Dennoch fanden wir in Roßbach ein Café, wo auch Marieluise und Ursula zu uns stießen, um zumindest dieses Mal einen Nachmittag mitzulaufen. In der „Linde“ in Wied bekamen wir am Etappenende nur einen Kaffee. Immerhin ließen sich die Wanderer im Gasthof Wiedbach Kuchen und Kaffee gut schmecken.
Die Wanderer kehren zurück und haben ihre Erinnerung mit prall gefüllten, erholsamen Tagen bereichert. Diese Art des Reisens hat was. Jeder Schritt auf einer Wander-/Pilgertour ist immer auch ein Schritt zu sich selbst.