Knochenjob: Landwirt in Sindlingen

Knochenjob: Landwirt in Sindlingen

Geschichte „Jupp“ Riegelbeck und Ludwig Stappert schildern bäuerliches Leben vor 50 Jahren

Immer wieder wurden die Ausführungen Jupp Riegelbecks durch zustimmende und erstaunte Zurufe aus dem Publikum ergänzt: „Der hieß damals doch „Äppelbrei-Peter“ oder „Den kannten die Sindlinger nur als Harry Piel“. 30 ehemalige Bauernhöfe stellte der Referent den aufmerksamen Zuhörern vor. Viele sind auch heute noch durch die große Toreinfahrt zu erkennen, manche sind aber baulich so sehr verändert, dass man ihre Geschichte nicht mehr auf den ersten Blick erkennen kann.

Hier setzten die Referenten an diesem Abend an. Jupp Riegelbeck zeigte die Verteilung der Hofreiten im Sindlinger Ort, konzentriert auf den alten Ortskern zwischen Okrifteler Straße und Alt Sindlingen. Dabei war das Hofgut Riegelbeck mit circa 1400 Quadratmetern das größte im Ort, gefolgt vom ehemaligen Zehnthof und vom Mockstädter Hof in der Huthmacherstraße.

Gerade die alten Aufnahmen der Hofreiten mit ihren Gebäuden (Wohnhaus, Scheunen, Viehstallungen) vermittelten den Zuhörern ein deutliches Bild vom Leben der Zeit vor rund 60 Jahren, einer Zeit, in der noch ein „Donnerbalken“ und ein Misthaufen zum Alltag gehörten. „In den 50er-Jahren gab es sogar einen „Misthaufen-Wettbewerb“, bei dem mein Vater den fünften Preis gewann“, dokumentierte Jupp Riegelbeck seine Aussage mithilfe einer Urkunde. Auch die technischen Geräte hielten nach dem Krieg nur allmählich Einzug in das bäuerliche Leben. Die ersten Traktoren ersetzten die Kaltblut-Pferde; die Dreschmaschinen waren so gewaltig, dass – mit großem Personalaufwand – sogar auf der Straße gearbeitet werden musste. „Da lag über Sindlingen eine unübersehbare Staubschicht“, wusste Ludwig Stappert.

Zahlreiche Bilder veranschaulichten den damaligen Knochenjob der Bauern. Handarbeit auf dem Feld, Pferde zogen vollgeladene Stroh- und Heuwagen durch die recht engen Ortsstraßen. Pferdeäppel waren damals noch kein Ärgernis, sondern willkommener Dung für die Gärten.

Die meisten Bauern betrieben neben dem Fruchtanbau auch noch Viehwirtschaft. Stappert verblüffte die Zuhörer, indem er daran erinnerte, dass die Sindlinger Landwirte um 1950 sage und schreibe 600 Ziegen und über 70 Kühe hielten. Die Gefahr von Tierkrankheiten oder –seuchen war dabei nicht ausgeschlossen: Die Maul- und Klauenseuche, aber auch Tuberkulose und Brucellose bedrohten den Bestand. Gerade die Viehhaltung machte den Gedanken an „Urlaub“ unmöglich. Die Tiere mussten täglich gefüttert und gemolken werden, auch wenn hier die Technik die Arbeit erleichterte. Die ersten Melkmaschinen und spezielle Kühlaggregate sorgten dafür, dass die Milch frisch blieb. Ursprünglich übernahm der Milchhändler Freischlag die Weiterverarbeitung und Verteilung, später holten Kühltransporter zum Beispiel von Moha die Milch bei den Bauern ab.

All diese Rahmenbedingungen sorgten dafür, dass die meisten Bauern keine Nachfolger fanden. „Mein Vater, der ursprünglich Kaufmann war, wollte nicht, dass ich Bauer werde. Deswegen bin ich in die Landwirtschaftstechnik eingestiegen“, gestand rückblickend Jupp Riegelbeck: „Dort konnte ich mein Interesse an der Landwirtschaft fortsetzen“.

Über 90 Minuten unterhielten die beiden Referenten die Zuhörer mit Details, die das Leben der Landwirte vor gut 60 Jahren anschaulich vor Augen führten. Lang anhaltender Applaus der etwa 50 Zuhörer dankte Jupp Riegelbeck und Ludwig Stappert für die zeitintensiven Nachforschungen zu einem Arbeitsleben, das man gut und gerne als „Knochenjob“ bezeichnen kann. DF

Dieses Bild der Dampf-Dreschmaschine im Einsatz vor dem Haus Am Lachgraben 1 (damals noch Fichtestraße) entstand um 1920 .Fotos: Heimat- und Geschichtsverein.

Dieses Bild der Dampf-Dreschmaschine im Einsatz vor dem Haus Am Lachgraben 1 (damals noch Fichtestraße) entstand um 1920 .Fotos: Heimat- und Geschichtsverein.

 

Mit Holzpferd und Leiterwägelchen vergnügten sich die Kinder im Hof Riegelbeck.

Mit Holzpferd und Leiterwägelchen vergnügten sich die Kinder im Hof Riegelbeck.