Spaziergang durch den schönsten Ort
Spaziergang durch den schönsten Ort
Heimatgeschichte Dalles, Hundefriedhof, Nothelfer: Alt-Sindlingen ist ein offenes Denkmal
Am „Tag des offenen Denkmals“ wurde der alte Sindlinger Ortskern selbst zum Denkmal. Dieter Frank, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins, führte rund 30 Interessierte vom Dalles zum Main und über den Meister-Park und die Kirche St. Dionysius wieder zurück.
Nicht nur der Denkmaltag, sondern auch die urkundliche Ersterwähnung des Dorfes vor 1225 Jahren waren Anlass für einen Rundgang durch die Geschichte. Dabei ist Sindlingen eigentlich viel älter, erklärte Frank. Das belegt ein fränkisches Gräberfeld aus dem siebten Jahrhundert, auf dem heute neben anderem das Hotel Post steht.
Die „Stadtmauer der Armen“, ein als „Haingrabenhecke“ bezeichnetes dichtes Gestrüpp am Ortsrand, lässt sich noch erahnen. Die im Volksmund „Hexengasse“ genannte Hakengasse folgt dem Verlauf der früheren Wehranlage. Einziger Zugang zum Dorf war eine Pforte am heutigen Dalles.
Dieser entwickelte sich zum zentralen Verkehrsknotenpunkt, als Sindlingen nach 1700 erstmals nennenswert erweitert wurde. Immerhin führte die direkte Verbindungsstraße von Frankfurt nach Mainz hier vorbei. Pferdewechselstationen und Gasthäuser wie „Löwe“, „Nassauer Hof“ und „Mainzer Hof“ entstanden. Die Gebäude gibt es immer noch, sie werden aber anderweitig genutzt. Verschwunden ist die Anna-Kapelle, die 1726 von Sindlinger Familien gestiftet wurde und bis in die 20-er Jahre am Dalles stand.
Nach dem Brand fällt die Haingrabenhecke
Die Erweiterung der Siedlung kam nicht von ungefähr. Nach einem Großbrand 1690 brauchte die Gemeinde Geld, deshalb holzte sie die Haingrabenhecke ab und wies neue Bauplätze aus. Die damalige Neugasse heißt heute Alt-Sindlingen und führt hinab zum Mainufer und dem letzten Haupterwerbsbauernhof des Ortes. In die Sandsteinpfosten des Anwesens Stappert sind Hochwassermarken geritzt; die „Unterlieger“ hatten häufig Wasser im Keller und beim Höchstwasser 1784 auch in den Wohnungen stehen.
Entlang des Feierabendwegs spazierte Dieter Frank mit seinen Zuhörern an das „idyllischste Eck“ am unteren Ende der Allesinastraße. Er erinnerte daran, dass oberhalb das Herrenhaus der Familie Allesina stand. Es war ein beliebtes Ausflugsziel und warb für sich als „schönster Ort zwischen Mainz und Aschaffenburg“. Direkt gegenüber logierte Karl Caspar (1883 bis 1954), ein Flugpionier, an den sich einige der Teilnehmer noch erinnern. „Ich habe als Junge immer die Milch von unserem Bauernhof hingebracht“, erzählt Hans „Jupp“ Riegelbeck. „Wenn wir beim Rodeln am Mainberg zu laut waren, hieß es immer: Seid ruhig, Herr Caspar will schlafen“, berichtet Irmela Gumb.
Durch den Reiterhof des ehemaligen Anwesens Meister ging es in den Park und für einen kurzen Blick auf die Buntglasfenster im Stil der 20-er Jahre ins Innere der Villa. Herbert von Meister, Sohn des Farbwerke-Mitbegründers Wilhelm Meister, kaufte das Anwesen Allesina-Schweitzer 1902, ließ das alte Herrenhaus abreißen und Villa, Reithalle, Pferdestall, Orangerie und sogar einen Tennisplatz errichten.
Neu war manchem der Teilnehmer, dass es im Meister-Park auch einen Hundefriedhof gibt. An der Westmauer erinnern Grabsteine und Statuen an Joly, gestorben 1884, und Minko, gestorben 1892.
Immer gern gehört wird die Legende, dass der kleine Hügel im Park Eingang zu einem Geheimgang wäre. Er soll hinunter ans Mainufer und unter dem Fluss entlang auf die andere Seite führen. Dafür gibt es aber keinen Beleg. Wahrscheinlicher ist, dass der Hügel als Eiskeller diente, sagte Dieter Frank.
Vorbei am alten Sindlinger Rathaus und der ersten Schule ging die Gruppe in die Huthmacherstraße und damit wieder weit zurück in der Geschichte. An der ehemaligen Gemeindegasse lagen das allererste Rathaus, der Zehnthof, der Mockstädter Hof und die beherrschende katholische Kirche St. Dionysius mit dem ersten Friedhof. Er ist genauso verschwunden wie das einstige Pfarrhaus.
Wallfahrer in St. Dionysius
An der Kirche nahm Ingrid Sittig die Gruppe in Empfang. Sie ist Mitglied des Pfarrgemeinderats und betreut das Kirchenarchiv. Ein erster Eintrag über eine Kirche an dieser Stelle stammt von 830, berichtete sie. Um 1300 findet sich auch erstmals der Name des Heiligen Dionysius, eines der Nothelfer. Die Sindlinger Kirche mauserte sich mit der Zeit zum Wallfahrtsort und wurde deshalb zu klein, obwohl Sindlingen um 1600 nur aus rund 100 Einwohnern bestand. Sie rissen die Kirche 1609 ab und bauten eine größere. Damals bildeten Turm und Schiff noch eine Einheit. 1828 – Sindlingen zählte nun schon 500 Einwohner – reichte der Platz wieder nicht mehr. Erneut wurde das Schiff abgerissen und durch den heutigen Kirchenraum ersetzt, der etwa 800 Menschen aufnehmen kann. Nur der Turm von 1609 blieb übrig, nunmehr freistehend.
Im Inneren finden sich viele Besonderheiten. Am Hochaltar im klassizistischen Stil beispielsweise hat sein Erbauer, der Zeilsheimer Adolph Roth, sein Markenzeichen hinterlassen, einen Frosch. Im Altarraum findet sich die Statue der Heiligen Anna, die früher in der Anna-Kapelle zuhause war. Einer der Seitenaltäre enthält kleine Figuren der 14 Nothelfer, die schon 1714 erwähnt werden, lange verschwunden waren und dann wieder auftauchten. Viel Geld floss im Lauf der Jahre in den Erhalt der Kirche, vor allem nach einem großen Brand 1985. Zur Zeit wird die Orgel restauriert.
Der Rundgang endete am Ranzenbrunnen, der dem größten Sindlinger Stadtteilfest seinen Namen gibt. „Leider fließt hier kein Wasser mehr“, bedauerte Dieter Frank. Eine Pumpe ist kaputt. Ihre Reparatur würde 40 000 bis 50 000 Euro kosten. hn