Wo Kettenesel und Muhkalb Nachtschwärmer jagen
Wo Kettenesel und Muhkalb Nachtschwärmer jagen
Stadtgeschichte Silke Wustmann spricht über Winterbräuche im alten Frankfurt
Bereits seit dem 18. Oktober ist in Frankfurt offiziell Winter. Warum das so ist und viele weitere interessante, amüsante und manchmal auch merkwürdige Begebenheiten aus dem alten Frankfurt schilderte Silke Wustmann vor kurzem beim „Frankfurter Abend“ im evangelischen Gemeindehaus.Es wurde ein äußerst kurzweiliger, vergnüglicher Abend.
Zum Frankfurter Abend stellte Pfarrer Ulrich Vorländer die Referentin als „stadtbekannte, unterhaltsame Historikerin“ vor, die bereits vor zwei Jahren an gleicher Stelle von Frankfurter Liebespaaren erzählt hatte.
Damit traf er den Nagel auf den Kopf. Silke Wustmann, spezialisiert auf die Frankfurter Stadtgeschichte, vermittelt die Lokalgeschichte so lebendig, dass jeder merkt, wie gern sie in Frankfurt lebt. Dabei stammt sie zu ihrem Bedauern gwar nicht von hier, sei aber „Frankfurterin im Herzen“, bekannte sie. Beliebt sind ihre verschiedenen Führungen in der Innenstadt sowie durch den Bolongaropalast und den Behrens-Bau am Tor Ost des Industrieparks. Mit dem Sindlinger Mario Gesiarz spaziert sie jedes Jahr von April bis Oktober mehrfach im Kostüm des Schlossgeists Gudula durch die Höchster Altstadt und gibt dem „Bären-Schorsch“ dabei ordentlich Paroli.
Auch im Gemeindehaus hatte sie von Anfang an die ungeteilte Aufmerksamkeit der knapp 40 Zuhörer. „Winterbräuche im alten Frankfurt“ hieß ihr Thema. Dass der Winter schon im mitunter „Goldenen Oktober“ begann, hatte vier Gründe, listete sie auf. An diesem Datum begann die offiziell die Heizperiode. Die Öfen wurden befeuert, die Pelzmäntel aus den Schränken geholt und die Hände in den Muff gesteckt. Die Meister spendierten ihren Angestellten den „Lichtbraten“. Das war ein kleiner Trost dafür, dass sie im Winterhalbjahr bei schwachem künstlichen Licht arbeiten mussten. Ab dem 18. Oktober gab es auch endlich wieder die „Frankfurter Werschtscher“. Den Sommer über war es für deren Produktion zu warm. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts, nach Einführung der Konservendose, konnte der Klassiker das ganze Jahr über genossen werden.
Geht die Sposau, kommt die Gans
Eng begrenzt war die Zeit des „Sposau-Essens“. Nur zwischen dem 18. Oktober und dem Martinstag, an dem Gans auf den Tisch kam, gab es Spanferkel. Das beschrieb Stoltze treffend so: „Geht die Sposau, kommt die Gans, mit de Keste (Kastanien) unterm Schwanz“, zitierte Silke Wustmann den Frankfurter Mundartdichter. Noch aus einem weiteren Grund war der 18. Oktober bedeutsam. Es war der Tag, an dem die Frankfurter Bürger selbst schlachten durften. Deshalb hieß das Datum auch „Bürgerschlacht“. Aus Gründen der Hygiene war die Schlachtung sonst den Metzgern vorbehalten. „Vieles hing mit der Verderblichkeit von Lebensmitteln zusammen“, sagte die Historikerin, „und vieles dreht sich ums Essen im alten Frankfurt“.
So manches geflügelte Wort hat andere Ursachen. Wenn Kinder heute noch „ab in die Kiste“ geschickt werden, erinnert das an Zeiten, als sich viele Menschen einen Raum zum Schlafen teilen. Als Betten dienten stapelbare Kisten. In der Regel hatten nur die Hausherren ein richtiges Bett mit einem Vorhang drum herum. Kam der Hausherr spät und möglicherweise betrunken heim, geigte ihm seine Frau aus dem Bett heraus die Meinung. Das heißt heute noch „Gardinenpredigt“. „Behängt wie ein Schlittegaul“ sind Frauen, die zu viel Schmuck tragen. Zu bewundern waren solche Pferde im Winter, wenn sie, behängt mit Göckchen und in prächtigem Geschirr, die Schlitten durch den Schnee zogen. Die Dame saß vorn, der Kavalier stand hinter ihr und lenkte das Tier.
Spätestens bei Einbruch der Dunkelheit sollte aber jeder wieder sicher zuhause sein. Zum einen gab es recht rigide Sperrstunden (im Winter 20, im Sommer 21 Uhr). Zum anderen trieben nächtens die „Frankfurter Stadtgespenster“ ihr Unheil. „Muhkalb“ und „Kettenesel“ waren in Tiergestalt verwandelte Menschen, die Spätheimkehrer, Zecher und lichtscheues Gesindel durch die Gassen jagten. Der „Kettenesel“ war mit rostigen Ketten behängt und schnaufte: „Rissel rassel Kett, wer ist noch net im Bett, wer sich jetzt noch regt, werd an mei Kett gelegt!“.
Huckauf-Geister scheuen das Licht
Das „Muhkalb“ war ein Huckauf-Geist, der den Unvorsichtigen auf den Rücken sprang, sich festklammerte und lautstark muhte. Das einzige, das gegen die Geister half, war das Kreuz. Dabei reichte es schon, an einer Kirche vorbei zu gehen. „Deshalb gibt es so viele Kirchen in der Altstadt“, zwinkerte Silke Wustmann. 1761/62 verschwanden die Huckauf-Geister für immer. In jenem Jahr wurde die Stadtbeleuchtung eingeführt.
Noch auf viele weitere Eigenarten, Bräuche und Leckereien, von „Pomeranzengängern“ über Lebkuchen, Bethmännchen und Quetschemännscher bis hin zu Spielzeug, dem Weihnachtsbaum,d dem Struwwelpeter und dem Sauerkrautessen an Neujahr ging Silke Wustmann ein. Mit herzlichem Applaus dankten ihr die Zuschauer für einen kurzweiligen, informativen und unterhaltsamen Abend. hn