Stadtentwicklung: Viel Fläche, viele Fragen

Stadtentwicklung

Viel Fläche, viele Fragen

Wohnungsbau westlich und südlich der Siedlung

Es stand schon in der Tagespresse: Die Stadt hat den Stadtrand bei Sindlingen für den Wohnungsbau entdeckt. Bürgermeister Olaf Cunitz (Grüne) stellte in einer Pressekonferenz Pläne des Magistrats zur Schaffung von Wohnbauflächen vor. Das größte Potenzial der 15 benannten Gebiete hat Sindlingen westlich und südlich der Ferdinand-Hofmann-Straße. Im Feld rund um die Internationale Schule sowie dort, wo derzeit Sportplatz und Kleingärten liegen, könnten 2000 Wohnungen entstehen, sagte Cunitz – sofern es die Seveso-II-Richtlinie zulasse.
Diese Richtlinie blockierte bislang jede größere Planung in Sindlingen, denn sie besagt, dass bei Neubaugebieten 1,5 Kilometer Abstand zu potenziell gefährlichen Produktionsbetrieben eingehalten werden müssen. Die Chlorchemie im Norden des Industrieparks Höchst ist ein solcher Betrieb. Doch Betreiber Akzo-Nobel hat vor kurzem eine nagelneue Anlage im Südwerk der Infraserv errichtet. Außerdem sollen die Sicherheitsabstände durch technische Neuerungen kleiner werden. Ist damit in Sindlingen großflächiger Neubau möglich? Das soll mit Hilfe eines Einzelfallgutachtens geklärt werden, ließ Cunitz wissen.
Darüber kann Sieghard Pawlik nur den Kopf schütteln. Der Sindlinger SPD-Stadtverordnete begrüßt die Idee zwar grundsätzlich: „Das ist eine große Chance für den Stadtteil“. Immerhin wird von den Sindlinger Ortsbeiräten seit Jahren beklagt, dass es aufgrund der Richtlinie kein Entwicklungspotenzial mehr gebe, der Stadtteil stagniere. Aber er sieht im Vorschlag des Bürgermeisters so viele Schwächen und Nachlässigkeiten, dass eine Überarbeitung dringend nötig sei. Die SPD im Römer hat deswegen im Dezember eine „dringliche Anfrage“ gestellt. Antworten sollen Ende Januar vorliegen.
Im Einzelnen kritisiert Pawlik den Zuschnitt des Gebiets, die Verlagerung von Sportplatz und Kleingärten, das Fehlen der Areale Sindlingen-Süd (hinter dem Turnerheim) und Zeilsheim-Süd (auf der nördlichen Seite der Limburger Bahnstrecke), die unklare Anbindung an das Straßennetz und nicht zuletzt Ungereimtheiten in Sachen Seveso-Gutachten.
Im einzelnen: „Warum sollen Bezirkssportanlage, Tennishalle und Kleingärten verlegt werden? Für das Geld könnte man Schulen sanieren oder 100 Wohnungen bauen“, sagt Pawlik. Da sei es sinnvoller, die Grenze des möglichen Baugebiets weiter westlich zu ziehen und die vorhandenen Anlagen an Ort und Stelle zu lassen. Ferner fragt sich Pawlik, wie die bis 4000 Bewohner ihre Häuser erreichen sollen: Etwa durch die Albert-Blank-Straße? Sicher nicht, meint er. Denn schon jetzt leiden die Anwohner unter dem Verkehr von und zur Internationalen Schule. Um von der Farbenstraße aus angedient zu werden, müsste jedoch der schienengleiche Bahnübergang der Straße zur Internationalen Schule durch eine Unterführung ersetzt werden. Das werfe immense zusätzliche Kosten auf. Darüber sei sich der Bürgermeister wohl nicht im klaren, meint Pawlik. Unklar sei auch, wie sich die Ausweisung der Äcker als Grünzug im regionalen Flächennutzungsplan auf mögliche Baupläne auswirke. Nicht zuletzt fragt er, warum Sindlingen-Süd und Zeilsheim-Süd in Cunitz‘ Vorlage nicht auftauchen. Im Gutachten solle sinnvollerweise gleich mit geprüft werden, ob die Seveso-Richtlinie für diese Flächen noch greife oder nicht, regt er an.
Daneben irritieren den Sindlinger Stadtverordneten widersprüchliche Aussagen zum Gutachten. Schon vor über einem Jahr habe die SPD-Fraktion beantragt, die Seveso-Rechtslage mit Hilfe eines Gutachtens klären zu lassen. Der Magistrat antwortete damals, dass der Industrieparkbetreiber Infraserv beabsichtige, ein Gutachten über die Ansiedlung weiterer Betriebe zu erstellen, die unter die Störfall-Verordnung fallen. Doch im jüngsten Gesprächskreis der Nachbarn des Industrieparks sagte Geschäftsführer Roland Mohr, dass es Sache der Kommune sei abzuwägen. „Wie denn nun?“, fragt Pawlik. So oder so sei anscheinend noch nichts in die Wege geleitet worden. „Der Bürgermeister handelt nicht. Die Vorlage ist ein wenig durchdachter Schnellschuss“, kritisiert er. Dem will die SPD-Stadtverordnetenfraktion mit ihrem Dringlichkeitsantrag auf die Sprünge helfen. Denn „ich wünsche mir zügiges, schnelles Vorgehen ohne weiteren Zeitverlust“, sagt Sieghard Pawlik. hn