TVS – „Papa, wir müssen nach Südhessen“

Turnverein Sindlingen

„Papa, wir müssen nach Südhessen“

Leon Müller absolviert ein freiwilliges soziales Jahr beim Turnverein

Anderthalb Stunden Anfahrt nimmt Leon Müller in Kauf, um in Sindlingen zu arbeiten. Der 17-Jährige aus Bad Soden-Salmünster absolviert beim Turnverein ein freiwilliges soziales Jahr.
Auch bei anderen Vereinen hatte er sich beworben und Gespräche geführt. Aber nach dem Besuch beim TVS war ihm klar: „Ich will hierher“, sagt der groß gewachsene junge Mann. Denn hier hat er viele Möglichkeiten mitzuarbeiten. Das gilt zum einen für die Betreuung von Übungsgruppen im Verein als auch an den Sindlinger Grundschulen, mit denen der TVS kooperiert. Leon Müller trainiert die Handball-E-Jugend und die weibliche Volleyball-B-Jugend. Er assistiert in den Turnstunden und führt gemeinsam mit Johannes Sittig die Grundschul-AGs durch, in denen die Kinder den Umgang mit dem Ball lernen. „Das Bewegungstraining ist wirklich nötig“, hat Müller festgestellt, „manche können nicht mal einen Ball richtig werfen oder fallen beim Rückwärtslaufen um“.
Vielleicht liegt es am Leben in der Stadt. Er selbst ist in ländlicher Umgebung aufgewachsen. „Wir waren immer draußen unterwegs“, erinnert er sich an bewegte Kindheitsjahre. Als aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr seit dem neunten Lebensjahr nimmt er regelmäßig an Leistungswettkämpfen teil. In seiner Freizeit fährt er, wie viele in Bad Soden-Salmünster, mit dem Mountainbike die Spessart-Hügel hoch und ‚runter. In der Gesamtschule hat er den Schwerpunkt Sport gewählt und dadurch in viele Sportarten hineingeschnuppert. Nach dem Realschulabschluss „habe ich es vertrödelt, mich rechtzeitig um einen Praktikumsplatz zu kümmern“, sagt er. Um die Fachhochschulreife für Sozialpädagogik zu erwerben, muss er ein Jahr Praktikum vorweisen und anschließend wieder auf die Schule gehen. Da erschien ihm ein Freiwilliges Soziales Jahr als sinnvolle Möglichkeit, die Wartezeit zu überbrücken. Sportlich sollte es sein. Deshalb suchte er auf der Internetseite der Sportjugend Hessen nach Vereinen, die eine FSJ-Stelle anbieten. Dort stieß er unter anderem auf den Turnverein. „Wir haben uns sowohl für FSJ als auch für den Bundesfreiwilligendienst (BFC) beworben und sind für beides zugelassen worden“, erklärt TVS-Vorsitzender Michael Sittig: „Wir haben viel zu erhalten, das ist rein ehrenamtlich kaum noch zu leisten“. Vor allem um den Handball zu fördern und mit den Grundschulen zu kooperieren sollte ein Freiwilliger gefunden werden; da die Grundschul-Arbeit tagsüber erfolgt, ist es schwer, dafür Ehrenamtliche zu finden.
Leon Müller rief Stefan Bocklet an, der als Betreuer für die Stelle beim TVS fungiert. Nach einem ersten Telefonat sagte er zu seinem Vater: „Papa, wir müssen nach Südhessen“. Als er erfuhr, für was er alles eingesetzt werden sollte, war er begeistert. Bewerber und Verein wurden sich einig, und seit dem 1. September unterstützt Leon Müller den Turnverein. Neben den regelmäßigen Terminen hilft er bei der Vorbereitung von Sportfesten im Handball oder wenn handwerkliche Aufgaben anfallen. So hat er an einer Mohrenkopf-Wurfmaschine für ein Spielfest mitgebaut und das Turnerheim gestrichen. Seine Arbeitszeiten sind den Trainingszeiten angepasst, liegen vorwiegend am Nachmittag und Abend, und auch am Wochenende fährt er ab und zu nach Sindlingen – „Vor allem, wenn meine E-Jugend spielt“, sagt er. Trotz der weiten Fahrt kommt er gerne. „Wir lachen viel, und der TVS hat familiäre Strukturen. Es ist ein absoluter Traumverein“, findet Leon Müller.
Zusätzlich zur Arbeit in Sindlingen besucht er Seminare der Sportjugend, in denen die FSJ-ler viel Nützliches lernen. „Bewegung, Aufwärmen, Psychologie, der Umgang mit Kindern – dort werden Grundlagen für Vieles gelegt“, sagt Leon Müller. Außerdem erwirbt er dort den Übungsleiterschein Breitensport. Und mittlerweile weiß er auch, dass ihm das soziale Jahr als Praktikum anerkannt wird und er nach Ablauf am 31. August 2014 direkt auf eine Schule wechseln kann.
Und später? Will er den Sport zum Beruf machen? Nicht direkt. „Mein Traumberuf ist, zur Berufsfeuerwehr zu gehen“, sagt er. hn

Seine Handball-Kinder sind ihm schon ans Herz gewachsen: Leon Müller absolviert ein freiwilliges soziales Jahr beim Turnverein. Foto: Michael Sittig

Seine Handball-Kinder sind ihm schon ans Herz gewachsen: Leon Müller absolviert ein freiwilliges soziales Jahr beim Turnverein. Foto: Michael Sittig

 

Erfahrungen sammeln

Freiwilliges Soziales Jahr und Bundesfreiwilligendienst sind nach Auslaufen des Zivildiensts entstanden. Sie sollen jungen Menschen Gelegenheit geben, während eines Orientierungs-, Bildungs- und Entwicklungsjahrs Erfahrungen zu sammeln. Beide Dienste bieten die gleichen finanziellen Rahmenbedingungen für die Freiwilligen. Das sind 300 Euro Taschengeld pro Monat. Für die Einsatzstellen entstehen monatliche Kosten pro Stelle von 450 Euro im FSJ und 420 Euro im BFD. Beide Dienste dauern in der Regel 12 Monate und starten jeweils am 1. September. Im FSJ werden von den Freiwilligen fast ausschließlich Kinder und Jugendliche im Sport betreut. Hierfür ist im FSJ eine allgemeine Übungsleiterausbildung Breitensport Profil Kinder und Jugendliche integriert, wofür auch die Lizenz erlangt werden kann.